Seit wann gibts Deutschland

Tagesgespräch zu Wirtschaftsthemen wie Geldmarkt, Börse, Währung, Finanzkrise, Inflation aus Deutschland und der Welt

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Beitrag 16.05.2011, 13:51

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Ladon
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Weil hier gelegentlich diese Frage diskutiert wird, habe ich mir erlaubt, einen kleinen "Aufsatz" zum Thema einzustellen, damit man die Grundlage besser definieren kann. Leider kommt es häufig zu Verwechslungen oder begrifflicher Wirrnis. Das kann man vermeiden, wenn man eine Begriffsgrundlage schafft, die den Sprachgebrauch etwas "normiert". Sonst redet man eventuell aneinander vorbei. Was schade ist, weil Geschichte, zumal deutsche Geschichte, wirklich außergewöhnlich interessant ist.

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Seit wann gibt's Deutschland?

Das vielzitierte Heilige Römische Reich Deutscher Nation ... so lautet die vollständige Bezeichnung des 1806 aufgelösten alten Reiches (in Abgrenzung zum 1871 gegründeten, wirklich deutschen, Staat). Dieser Begriff wird oft irrtümlich und unzutreffend auf das mittelalterliche Deutsche Königreich angewendet, was schon mal grundsätzlich falsch ist, denn es ist das "Römische" Reich in dessen Nachfolge man sich sieht und der deutsche König ist eher ein "gewählter Anführer" unter Gleichen als ein Staatsoberhaupt.

Betrachten wir wie es zu dem Namen kommt:
Mit der Kaiserkrönung Karls im Jahr 800 durch den Papst ist der Titel mit der Formel „imperium Romanorum“ verknüpft. Karl hatte sich zuvor zum König von Italien krönen lassen - und die Herrschaft über Italien galt für lange Zeit als Vorbedingung für den Anspruch auf die Kaiserkrone! Otto (der Erste), der vielfach als erster "Deutscher Kaiser" genannt wird, wird als Rex Francorum Orientalium - also als ostfränkischer und nicht etwa "deutscher" König - 962 zum Kaiser gekrönt. Zum imperator augustus. Mit der translatio imperii wird das Kaisertum explizit von den Römern auf die ostfränkischen Herrscher übertragen! Von der Gründung eines "Deutschen Reiches" ist nie die Rede.
Sogar die Bezeichnung Regnum Teutonicum (Deutsches Königreich) ist erst 1038 in den Annales Althenses nachweisbar. Einen König der Deutschen gibt es gar erst seit 1074. Dieser Titel wurde aber wenig verwendet, da der Papst gelegentlich in der Absicht den Anspruch und die Wirkung des fränkischen Herrschers herabzuwürdigen, vom "König der Deutschen" oder dem "deutschen König" - also von jemandem mit beschränktem Machtanspruch - sprach. Hingegen ist der Begriff Rex Romanorum für den Herrscher vor der Kaiserkrönung seit den Saliern in Gebrauch.
Das Kaisertum des "alten Reiches" ist also von Anfang an eine multinationale Einrichtung, die von Otto III konzeptionell mit der Renovatio Imperii Romanorum sogar auf Frankreich und die slawischen Gebiete ausgeweitet wird. Die Urkunden sprechen seit dem 11. Jahrhundert vom Romanorum Imperator Augustus und man sollte die sakrale Komponente der Sache nicht gänzlich außer Acht lassen die erst durch den Investiturstreit praktisch aufgehoben wurde. Um Nationen oder Staaten geht es nicht.

Von Gottes Gnaden Römischer Kaiser ... so heißt es 1476 in der Intitulatio Friedrichs III. Bis zum 15. Jahrhundert finden wir zumeist das Sacrum Imperium. Wobei man die säkulare Bedeutung des Wortes "sacrum" im Lateinischen beachten sollte: Im antiken Rom waren Ämter in Religion und Politik eng verwoben. Erst Mitte des 15. Jahrhunderts finden wir erstmals "Nationes Germanicae". Hier gilt zu beachten, dass es keineswegs um einen Staat oder eine Nation im heutigen Sinn geht, sondern um die deutschsprachigen (!) Völker. "Natio" bezeichnet die Zugehörigkeit zu einer Sprachfamilie und eine gewisse ethnische Zusammengehörigkeit (es geht also um die "deutschen Lande" und nicht um "Deutschland"). Erst Ende des 15. Jahrhunderts lassen sich (etwa im Landfriedensgesetz von 1486) zarte Versuche einer staatlichen Nationalisierung feststellen, die sich in den westeuropäischen Ländern schon früher abzeichnet. Von nun an kommt es häufiger zur Vermengung der Begriffe "Kaiserreich" und "Königreich", die beide einfach als "Reich" bezeichnet sein können. Immer noch geht es aber um eine Art Ehrentitel - von zentraler politischer Gewalt über die Grenzen des Stammlandes hinaus kaum eine Spur. Sieht man von beständigem Streit mit den Landesfürsten ab.
Im 16. Jahrhundert dann erstmals die Bezeichnung Sacrum Imperium Romanorum Nationis Germanicae. Allerdings verschwindet dieser Begriff auch wieder und erlebt eine Auferstehung erst in den verklärenden historischen Schriften des 19. Jahrhunderts, oft im Kontext mit der Sehnsucht nach einem Nationalstaat.
Das alte Kaiserreich ist also eine eher personenbezogene Sache und hat mit einem Staat herzlich wenig zu tun. Man denke nur daran, dass sich im 18. Jahrhundert praktisch "im" existierenden Kaiserreich zwei Mächte gegenüber stehen (Österreich/Habsburg und Preußen/Hohenzollern). Auf die Idee, dass dies eine Art Bürgerkrieg sein könnte, ist aber wohl noch nie jemand gekommen.
Nicht alle Kaiser seit 962 bis 1806 waren vorher (römisch-)deutsche Könige und umgekehrt gab es keinen Automatismus der den (römisch-)deutschen König zum Kaiser gemacht hätte. Zwischen Otto I (936-973) und Maximilian I (1493 bis 1519) gab es im alten Kaiserreich insgesamt über viele Jahrzehnte schlicht keinen Kaiser - und das addiert sich bei weitem nicht nur aus dem üblichen Zeitraum zwischen Königs- und Kaiserkrönung - überdies noch Zeitspannen, in denen es zwei Kaiser gab. Klingt nicht wirklich nach einem funktionierenden Staatswesen.

Es gibt für das alte Kaiserreich vor dem 16. Jahrhundert und in seiner Gesamtheit betrachtet also weder einen zentralen Sitz noch eine zentrale Verwaltung, weder Legislativorgan noch fixierte Verfassung, weder Gewaltmonopol noch eine "innere Identifizierung" der recht inhomogen strukturierten Bevölkerung. Eigentlich kann man nicht mal von einem Staatenbund sprechen.
Erst danach kann man mit etwas gutem Willen von der Herausbildung institutioneller Strukturen sprechen. 1663 wird zum Beispiel der "Reichstag" als "immerwährend" (in Regensburg) installiert. Die Gewalt des Kaisers bleibt jedoch immer auf seine Hausmacht beschränkt. Der sprichwörtliche Dualismus zwischen Fürsten und Kaisern ist ein prägendes Element des Reiches auch in der beginnenden Neuzeit. Das Selbstverständnis der Fürsten in den souveränen Reichen gipfelt oft in kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem Kaiser - oder im Verweigern von militärischer Hilfe. Eine nationalstaatliche Vereinigung, eine hoheitliche Befugnis ist in diesem Kaiserreich nicht zu finden - es besitzt einfach keine staatsrechtlich relevanten Kennzeichen.

Deutsche Nationalstaatlichkeit in modernem Sinne ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Und die sogenannte "Romantik" verklärte dann auch das Bild des alten Reiches und stilisierte es zum Vorbild für einen deutschen Nationalstaat. Und trotzdem war das "zweite" Kaiserreich (ab 1871) nicht einmal konzeptionell als Nachfolger des "ersten" gedacht - ohne Österreich/Habsburg auch schlecht vorstellbar. Diese Verbindung kommt erst um 1900 mehr und mehr auf und wird natürlich von der Hitler-Diktatur zur eigenen Legitimation benutzt (1. / 2. / 3. Reich)
Einen Staat "Deutschland", der so einigermaßen das heutige Gebiet abdeckt hat es bis 1871 einfach nicht gegeben. Und es ist seltsam, dass das alte Reich - ein loser Vielvölker-Staatenbund ohne Zentralgewalt - heutzutage manchen (und damit sind beileibe nicht nur Konservative gemeint) als Vorbild oder Ursprung gilt. Die EU liegt geografisch, konzeptionell und strukturell viel näher am alten "Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation" als es je ein "Deutschland" war.
Zuletzt geändert von Ladon am 30.01.2012, 08:43, insgesamt 4-mal geändert.
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Beitrag 16.05.2011, 17:52

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plutokrat
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Das finde ich sehr löblich, dir solche Mühe zu machen, wenn es denn für dich eine war.

Unsere schöne deutsche Geschichte zusammengefasst...
Ich für meinen Teil werde mich in dieser Richtung gerne weiterbelesen.

In diesem Zusammenhang beschäftige ich mich jetzt mit den "Bereinigungsgesetzen der BRD"

Beitrag 17.05.2011, 09:43

waupie60
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Ladon hat geschrieben:Weil hier gelegentlich diese Frage diskutiert wird, habe ich mir erlaubt, einen kleinen Aufsatz zum Thema einzustellen, damit man die Grundlage besser definieren kann. Leider kommt es häufig zu Verwechslungen oder begrifflicher Wirrnis. Das kann man vermeiden, wenn man eine Begriffsgrundlage schafft die den Sprachgebrauch etwas "normiert". Sonst redet man eventuell aneinander vorbei. Was schade ist, weil Geschichte, zumal deutsche Geschichte, wirklich außergewöhnlich interessant ist.



Seit wann gibt's Deutschland?

Das vielzitierte Heilige Römische Reich Deutscher Nation ... so lautet die vollständige Bezeichnung des 1806 aufgelösten alten Reiches (in Abgrenzung zum 1871 gegründeten, wirklich deutschen, Staat). Dieser Begriff wird oft irrtümlich und unzutreffend auf das mittelalterliche Deutsche Königreich angewendet, was schon mal grundsätzlich falsch ist, denn es ist das "Römische" Reich in dessen Nachfolge man sich sieht und der deutsche König ist eher ein "gewählter Anführer" unter Gleichen als ein Staatsoberhaupt.

Hallo Ladon,

ich finde Ihren Aufsatz sehr gelungen.
Meinen Deutschschülern, an meiner Schule in Innsbruck würde ich für diese Niederschrift die Note Eins geben.
Wenn Sie es erlauben würde ich Ihren Aufsatz gerne in Kopie bringen und den Beitrag in meiner Schule als Diskusionsbeitrag im Unterricht verwenden.
Mir persönlich hat der Beitrag gezeigt, das es, auch wo immer, Mitmenschen leben die einen gesunden Menschenverstand haben. Was in der Heutigen Zeit nicht selbsverständlich ist,( ob Deutschland oder Österreich).
Lg Bettina

Beitrag 17.05.2011, 21:07

Goldfinger
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Was ändert das eigentlich an einem germanisch/deutschen Selbstverständnis?
Und sollen wir eigentlich nur lateinische Urkunden als Beweis eines germanisch/deutschen Volkes sehen?
Ich sage nein, ich sehe spätestens seit Arminius zumindest ein Zusammengehörigkeitsgefühl der germanisch/deutschen Stämme.

Im Heiligen Römischen Reich waren ja nur eine Minderheit die sogenannten Reichsromanen, Lateiner. Der Name war somit genommen irreführend. Der Großteil waren Deutsche verschiedener Stämme. Ein echter deutscher Nationalstaat wurde ja lange Zeit von unserem westlichen romanischen Nachbar Volk verhindert.

Ernst Moritz Arndt hat meiner Meinung nach das schönste Lied zu dieser Frage geschrieben, nur leider die Holländer/Flamen als Niederdeutsche außen vorgelaßen.

Beitrag 18.05.2011, 05:03

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Ladon
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Goldfinger hat geschrieben:...
Und sollen wir eigentlich nur lateinische Urkunden als Beweis eines germanisch/deutschen Volkes sehen?
Ich sage nein, ich sehe spätestens seit Arminius zumindest ein Zusammengehörigkeitsgefühl der germanisch/deutschen Stämme.
Vom Selbstverständnis war nicht die Rede - sondern von einem formalen "deutschen" Staatswesen!
Nun, Latein war nun mal die Dokumentensprache der Zeit ... was soll ich machen?
Der Hinweis auf Arminius ist Kokolores. Ein Deutschtum in der Antike zu postulieren entbehrt nun wirklich jeder Grundlage.
Goldfinger hat geschrieben:... Ein echter deutscher Nationalstaat wurde ja lange Zeit ... verhindert.
Meine Rede! Danke für die Bestätigung.
Einen deutschen Nationalstaat gab es nicht.
Goldfinger hat geschrieben: Ernst Moritz Arndt ..
Und nochmal: Danke für die Bestätigung! Arndt gehört genau zu den "Romantikern" des (frühen) 19. Jahrhunderts, die der Idee des deutschen Nationalstaats zur Existenz "verhalfen", die dann in der Reichsgründung 1871 gipfelte.
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Beitrag 18.05.2011, 05:19

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Ich habe mich - in aller hier gebotenen Kürze - bemüht jede Aussage zu untermauern. Darum bitte ich dann auch bei der Entgegnung.

Im Kern aber geht Deine Antwort sowieso am Thema vorbei:

Ich rede hier über die formale Existenz eines "deutschen" Staatengebildes!
NICHT über ein Zusammengehörigkeitsgefühl (das bei Volksgruppen einer Sprachfamilie doch schon von daher unbestritten ist).
NICHT um die Bemühungen antiker in Rom ausgebildeter Machtmenschen, die offensichtlich mit ihren Einigungsfantasien auf wenig Gegenliebe bei den Stammesfürsten trafen.
Auch nicht um diffuse Gefühlslagen eiszeitllicher Mammutjäger ...

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@ all

Ich bitte wirklich eindringlich, den Artikel so zu sehen, wie er gemeint ist:
Eine Auseinandersetzung mit formalrechtlichen Grundlagen in der Geschichte. Ich trage lediglich zusammen, was man gegen die These dass vor 1871 ein "formalrechtliches deutsches Staatengebilde" existierte vorbringen kann.
Über Deutschtum, Kultur, Zusammengehörigkeitsgefühl und /oder die Gründe, warum es nicht zu einer nationalstaatlichen Entwicklung wie etwa den westeuropäischen Ländern kam, habe ich KEIN WORT verloren!

Leider beschleicht mich das Gefühl, dass zuweilen geradezu reflexartig auf Reizworte reagiert wird, ohne den Inhalt des Gesagten wahrzunehmen. Kein Antwortpost hat sich bisher inhaltlich mit dem Artikel auseinandergesetzt. "Schreibfehler" und "Gemütslage" und "ethnische Zusammengehörigkeit" waren bislang die Stichworte, die in den Antworten gefallen sind.
... und dabei habe ich meinen Kritikern eigentlich mit dem Nicht-Erwähnen der "Goldnen Bulle", die hie und da als "Erste Verfassung" genannt wird, geradezu "ein Leckerli zugeworfen".

Nix für ungut.
Zuletzt geändert von Ladon am 30.01.2012, 08:32, insgesamt 1-mal geändert.
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Beitrag 18.05.2011, 07:00

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Sehr interessanter Aufsatz, den ich in 98% so unterschreiben könnte.

Ein kleiner Einwurf, -hochaktuell!- sei mir an dieser Stelle erlaubt.

Legal Tribune "Wann ist ein Staat ein Staat?"

Palästina plant, UN-Mitglied zu werden. Die UN-Regularien sind eigentlich eindeutig, schwammig ist nur, ob die USA als Vetomacht und Protegé Israels das auch so sieht.
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Beitrag 18.05.2011, 07:09

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Ach so: die fehlenden 2% kommen dadurch zu Stande, dass Du Heinrich I. in Deinem Essay komplett vergessen / ignoriert hast. :idea:

Er gilt -trotz geringer schriftlicher Quellenlage- immer noch als Meilenstein auf dem Weg zu einem ersten "Volksempfinden" der Deutschen Stämme.

smilie_24
Nichts hasst der im Denken geschulte mehr als die Negation der Logik.
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Beitrag 18.05.2011, 07:48

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Ladon
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Grad' im Moment wollt' ich fragen ... smilie_24

Es gäbe sicher noch viele Punkte, Ereignisse, Dokumente und Personen, die man einbeziehen und ausführlich diskutieren könnte - und wohl auch müsste. Dennoch ist die "formale" Situation auch mit diesem kurzen, zuweilen an der Grenze des zulässigen verkürzten, Abriss doch ziemlich klar.

Ich wiederhole es noch einmal:
Es geht nicht um das "Empfinden", nicht um die "natio", also die sprachlich, kulturell, ethnisch zusammengehörige Volksgruppe der "Deutschen", sondern darum, ob vor 1871 in irgendeiner Form ein "Völkerrechtssubjekt" (wie man heute sagen würde) existierte, das man als "Deutschland" bezeichnen könnte.

Nebenbei:
Was ist eigentlich so schlimm daran dass "Deutschland" völkerrechtlich betrachtet ein vergleichsweise junges Gebilde ist? Das nimmt uns doch weder Identität, noch Kultur, noch sonstwelche Errungenschaften.
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Beitrag 18.05.2011, 08:18

Aurifer
Korrektur der lateinischen Termini. Einige Begriffe (orientalium, Teutonicorum) finden sich in folgendem Aufsatz in richtiger Form. Erstaunlich ist allerdings die Übereinstimmung bei dem Begriff: sacrum imperium Romanorum nationis Germanica, wie er sich in beiden Aufsätzen (Moderator und der unten kopierte) findet. Zum Genitiv nationis kann nur der Genitiv Fem. Sg. Germanicae treten, außerdem nehme ich Anstoß an Romanorum: das imperium Romanum (römisches Reich) ist für den Römer gleich mit dem imperium Romanorum (Reich der Römer). Bei den späteren Herrschern, von denen hier die Rede ist, kann man doch wohl nur vom sacrum imperium Romanum nationis Germanicae reden, denn es geht um das Heilige Römische Reich deutscher Nation und nicht um das Hl. Reich der Römer dt. Nation. Wer es nicht glaubt, sollte die Begriffe einfach bei Google überprüfen, da wird er schnell feststellen, dass in beiden Aufsätzen die lateinischen Begriffe nicht sauber gehandhabt werden oder schlicht und einfach falsch sind.

http://www.tohopesate.de/de/mittelalter ... ation.html

Heiliges Römisches Reich (Deutscher Nation)

vollständige Bezeichnung des 1806 aufgelösten sog. "Alten Reiches" (in Abgrenzung zum 1871 gegr. → "Deutschen Reich").
Wird oft in unzutreffender Weise auf das mittelalterliche Kaiserreich angewandt; manchmal auch auf das ma. Deutsche Königreich.
"Im Jahr 962 wird das Heilige Römische Reich deutscher Nation gegründet, König Otto I wird als erster Kaiser des Heilige Römische Reich deutscher Nation..." (Zitat von einer Website: Übersicht der deutschen Könige, Kaiser und Staatschefs)
"Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 962 - 1806" (Ausstellungsankündigung Magdeburg 28.8.2006, Website des ZDF)
"Erstmals zeigt eine Ausstellung die gesamte Geschichte des ersten deutschen Kaiserreichs - von seinen Anfängen unter Karl dem Großen bis hin..." (Website des MDR zur selben Ausstellung)
„In der europäischen Geschichte wurde der Kaisertitel in der Regel nur solchen Monarchen zugestanden, die eine übernationale Herrschaft ausübten.“ (Zitat: Yahoo Clever)

Entwicklungsgeschichte des Namens
- Mit der Kaiserkrönung Karls d. Gr. im Jahr 800 durch den Papst ist der Titel mit der Formel "imperium Romanorum" verknüpft. Zuvor hatte sich der Frankenkg. zum Kg. von Italien krönen lassen. Dies gilt von nun an als Vorbedingung für Anspruch auf die Kaiserkrone.
- Wie Karl d. Große kommt Otto I., Kg. des östl. Frankenreiches (rex francorum orientalium) dem in Italien bedrängten Papst zu Hilfe, lässt sich ebenfalls zum "Beschützer der Kirche" erheben u. erhält dafür als Dank am 2. Febr. 962 von Johannes XII. die Kaiserkrone (Titel imperator augustus). Damit ist der Übergang des Kaisertitels von den westfränk. an die ostfränkischen Kg.e vollzogen. Wichtigstes Kennzeichen ist die universalistische Orientierung, die „röm.“ als auch „christl.“ ist. Das zweite Kennzeichen ist die ständige Union des ostfränkischen Königreichs u. Norditaliens unter einer multinationalen Herrschaft. Die sog. translatio imperii suggeriert, dass das Kaisertum von den Römern auf die Deutschen übertragen wurde.
Die Eigenbezeichnung „Deutsches Königreich“ (teutonicum regnum) ist nicht vor 1038 nachweisbar (Annales Altahenses), der Titel "Kg. der Deutschen" (rex Teutonicorum) erst 1074 belegt.
Dieser Titel fand im MA aber keine Anwendung, da er von der päpstl. Kanzlei in herabsetzender Absicht verwendet wurde. In der neuen Forschung hat sich zur besseren Unterscheidung als Königstitel "Römisch-deutscher Kg." für den noch ungekrönten Ks. durchgesetzt, der seit der Salierzeit in Gebrauch ist (rex Romanorum).
Intitulatio eines Briefes Kg. Albrechts II. von 1438 'von gotes gnaden Romischer Kunig'. StA Han, AAA Nr. 455. Der Habsburger erlangte nie den Ks.titel
- 997 Idee der Erneuerung des „Römischen Reiches“ (Renovatio Imperii Romanorum) durch Otto III. (Titel imperator Romanorum). Das Konzept der multinationalen Herrschaft wird von den Ostfranken u. Italienern auf die Slawen u. Franzosen erweitert.
In den Urkunden ist seit 1034 die Rede vom Imperium Romanorum, der Standardtitel lautet von nun an Romanorum imperator augustus. Diese sakrale Ausstrahlung des Ks.ms wird im Verlauf des Investiturstreit 1075-1122 vom Papsttum angegriffen u. weitgehend zerstört.
- Seit 1157 spricht man im Umfeld des Ks. vom Sacrum Imperium (übersetzt mit „Geheiligtes“, nicht „Heiliges“ Reich). Seit dem 12. Jh. entsteht der Legitimationsanspruch der alleinigen Verankerung des Reiches in der Heilsgeschichte. Damit verbunden ist, dass die Vorstellung von der Nachfolge des röm. Reiches der Antike allg. u. selbstverständl. Akzeptanz fand, da dieses der einzig wirkl. Staat war, den das MA hist. kannte.
Der umfassende Titel Sacrum Imperium Romanorum erscheint offiziell erst 1254, das dt.-sprachl. „Heiliges Römisches Reich“ findet sich erstmalig 1354 in den Urkunden.
- 1438 erste Erwähnung des Begriffes „Nationes Germanicae“, allerdings nicht im Zusammenhang mit dem „Hl. Röm. Reich“. Nationes meint im ma. Sprachgebrauch nicht die Herkunft nach Volks- oder gar Staatszugehörigkeit sondern nach Sprache (Nationes Germanicae = „Deutscher Zungen“). Die, sich in der 2. Hälfte des 15. Jh. herausbildende Defintion der "deutschen Nation" als Sprachgemeinschaft u. "Träger des Reichs" sind er ungewürdigte Verdienst Ks. Friedrich III.
Entstanden ist der Begriff im Zusammenhang mit der Konziliaren Bewegung 1418-1450, deren Konflikt mit dem Papsttum u. der allmähl. Herausbildung der frz., engl. u. schweiz. Landeskirchen.
Eine Abgrenzung im Sinne von staatl. Nationalisierung, wie es sich in den westeurop. Länder schon im 14. Jh. abzeichnet, ist in Dtschl. nicht vor den 1470er fassbar (1486 im Landfriedensgesetz Kaiser Friedrichs III. verwendet). In der dt. pol. Sprache kommt es nun zunehmend zur Vermischung der Begriffe „Kaiserreich“ u. „Königreich“, beides wird als „das Reich“ formuliert.

Intitulatio Ks. Friedrichs III. 1476. 'von gottes gnaden Romscher Keyser', StA Han., AAA Nr. 2625
- Seit 1512 ist die offizielle Bezeichnung Sacrum Imperium Romanorum Nationis Germanica (Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation), vor allem um sich gegen die frz. Ansprüche auf die Kaiserwürde abzugrenzen. Ende des 16. Jh. verschwindet die Formulierung wieder aus dem öffentlichen Gebrauch u. erlangt erst im 18. u. 19. Jh. in der pol. u. dt.-nation. Pubilistik wieder Relevanz.
Terminolog. u. institutionell sind Heiliges Römisches Reich und → "Deutsches Königreich" streng voneinander zu trennen. Nicht alle röm. Ks. waren auch röm.-dt. Könige u. viele röm.-dt. Könige trugen nie die Ks.krone (von 1378-1433 gab es eine jahrzehntelange „kaiserlose“ Phasen; im Gesamtzeitraum 962-1493 hat es insges. 266 Jahre lang keinen Ks. gegeben), zeitweise gab es zwei Ks. zur gleichen Zeit u. der Titel wurde nicht nur von röm.-dt. Königen getragen.

Politische Bedeutung des Heiligen Römischen Reiches u. des Kaisertums
Heute würde man das ma. „Heilige Römische Reich“ als „virtuelles“ Reich bezeichnen ohne festes Territorium, ohne Verfassung od. schriftl. fixierte Grundsätze, ohne Legislative u. Gewaltmonopol, ohne Verwaltung u. zentralen Sitz. Auch eine innere Identifizierung mit „dem Reich“ hat es in der Bevölkerung infolge der ethnischen Inhomogenität sowie pol. Gliederung des Reiches in zahlreiche, im ständigen Dualismus stehende Recht- u. Sozialwesen, außer in staatspol. u. propagandistischen Schriften nicht gegeben. Erst um 1500 bilden sich festere institutionelle Strukturen (Reichstag, Reichskammergericht, Reichskreise).
Das Ksm. war keine staatsrechtl. sondern eine geistige Größe, brachte gegenüber den dt. Königsrecht keine innere Machterweiterung u. beeinhaltete keine Eingriffrechte in die Souveränität der anderen, vor allem dem der westeurop. Reiche, wie von der älteren Geschichtsforschung noch bis in die 1960 Jahre propagiert. Der Ks.titel war ein reiner Ehrentitel ohne gr. innen- od. außenpol. Relevanz u. Wirkung.

Nachwirken
Das ma. Kaiserreich diente im von Nationalismus u. Historismus geprägten 19. Jh. der Geschichtswissenschaft zur nationalen Identitätsstiftung. Unter dieser Maßgabe wurde das Reich des frühen u. hohen Mittelalters zur großen ruhmreichen Zeit, in der → „Deutsche Kaiser“ mit imperialen Großmachtanspruch herrschten hochstilisiert.
RK

Lit.: H. ANGERMEIER Reichsreform 1410–1555,München 1984; E. BOSHOF, Königtum und Königsherrschaft im 10. und 11. Jahrhundert, Oldenburg 2010; P MORAW, Heiliges Reich, in: LMA IV, Sp. 2025 ff; E. SCHUBERT, König und Reich. Studien zur spätmittelalterlichen dt. Verfassungsgeschichte (= Veröffentl. D. Max-Planck-Inst. f. Geschichte 63), Göttingen 1979.

Beitrag 18.05.2011, 08:51

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@ aurifer

Ich schreibe hier keine Doktorarbeiten, sondern trage überprüfbare Fakten zusammen, um sie in einem Forum in dem nur die wenigsten Quellenstudium betreiben oder akademische Sekundärliteratur lesen werden, verfügbar zu machen. Da wird in den "Zettelkasten" gegriffen. Mehr nicht.
Wenn tatsächlich höhere Ansprüche an einen Forenbeitrag gestellt werden, werde ich zukünftig gerne noch ausführlicher schreiben - fürchte aber, dass es dann überhaupt niemand mehr liest ...

Bezüglich meiner Latein(un)kenntnisse (Abi und Studium sind ja schon etwas her) neige ich demütig das Haupt. Da kann ich mit Dir grammatikalisch nicht mithalten. Danke für die Korrekturen.
Wobei ich jetzt überprüfen müsste inwieweit die Grammatik schon in den Quellen falsch ist oder ich falsch übernommen habe. Beides ist möglich. Grammatikalische oder Rechtschreib-Fehler sind in mittelalterlichen Urkunden nicht gerade selten.

Ansonsten:
Der Unterschied zwischen "Heiliges Römisches Reich deutscher Nation" und "Heiliges Reich der Römer deutscher Nation" ist überdies ja für die Fragestellung marginal - so oder so ist es kein "Deutschland", sondern bestenfalls ein loser Staatenbund auf dessen "Gebiet" neben den "Teutschen" auch eine Menge anderer Völker lebten.
Also inhaltliche Kritik bitte! Wo sind die Nachweise, Zitate, Quellen (gerne auch aus fundierter Sekundärliteratur), die einen Staat "Deutschland" vor 1871 belegen?

Und zuguterletzt nochmal: Was ist denn nur so "schlimm" an der Sache? Für mich ist das einfach nur interessant! Ein höchst bemerkenswerte Geschichte, die sehr viel anders verläuft als die der meisten heute bestehenden europäischen Staaten, hat letzten Endes zu dem geführt, was heute institutionell im Gebiet der "teutschen Lande" existiert.
SIch da über die Grammatik mittelalterlicher Urkunden zu "streiten" kann ich nicht so wirklich verstehen.
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Beitrag 18.05.2011, 09:46

Aurifer
@ Ladon

Gegen die reine Faktendarlegung habe ich keinerlei Einwände erhoben. Da ich kein ausgebildeter Historiker bin, halte ich mich da zurück. Wenn man versucht, einen Begriff, der historisch erst sehr spät entstanden ist, auf seine historischen Wurzeln zurückzuführen, und dabei fast ausschließlich auf mittelalterliche Quellen in lateinischer Sprache angewiesen ist, dann sollte man bei der Anführung der lateinischen Begriffe, die ja die Argumentationsgrundlage bilden, von möglichen Tippfehlern abgesehen, doch wohl richtig schreiben. Sonst verzichtet man besser darauf.

Einiges ist leicht zu erklären: aus einen regnum Teutonicum ('teutonisches' Reich) wird dann der rex Teutonicum: leider passt zu rex (Nominativ Sg. Mask.) nicht das Attribut Teutonicum (Nom. Sg. NEUTRUM), daher ist der Genitiv Plural des Wortes Teutonicus (der Teutone), also Teutonicorum, zu wählen, wobei ein rex Teutonicus (selbst Teutone) von einem rex Teutonicorum (König kann sein, was er will - er ist König der / über die Teutonen) zu trennen ist, soviel als Parallele zu Romanum und Romanorum.
Beim sacrum imperium Romanum nationis Germanica ist in mittelalterl. Schriften eher Germanice vertretbar, was man häufig findet, denn die lateinische Endung -ae wird oft zu -e verkürzt, so etwas das Relativum que statt quae.
Schreibt man jedoch Germanica als Gen. Sg. Fem. zu nationis ist Germanica nicht haltbar und würde vom Hrsg. einer mittelalterlichen Handschrift korrigiert. Dann müsste man im textkritischen Apparat nachsehen.

Ich habe keinen Anstoß am Aufsatz an sich genommen, sondern nur darauf hingewiesen, dass die Dame, die den Aufsatz im Unterricht verwenden wollte, sich nicht blamiert, falls ein/e Schüler/in mit Lateinkenntnissen bei der einen oder anderen Form nachfragt. Oder die Kopie fällt Eltern in die Hände - da sieht man als Lehrer/in plötzlich ganz alt aus, wenn man Dinge ungeprüft aus der Hand gibt. Man muss dann nämlich leider vor versammelter Mannschaft zugeben, dass man den Zöglingen etwas an die Hand gegeben hat, was man selbst nicht kontrolliert oder verstanden hat. Und wenn man dann noch darauf verweist, dass der Aufsatz aus dem Form gold.de stammt ... Den Rest mag sich jeder denken.

Zur Doktorarbeit: Diese Ansprüche hat hier keiner erhoben! Aber man begreift doch, warum die Historiker Wert darauf legen, dass auch ihre Normal-Studenten Lateinkenntnisse haben.

Und so ausführlich wollte ich es nicht machen.

Gruß

Aurifer

Beitrag 18.05.2011, 10:03

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Also gut - ich guck jetzt nach, ob ich die Grammatik Fehler gemacht habe oder ob das so in den Urkunden steht.

Das kann aber ein wenig dauern - wie gesagt, für so ein Textchen gehe ich ja nicht in die Archive, sondern bediene mich meines "Zettelkastens" in dem ich Zitate und Textschnipsel und Notizen sammele.

Wegen der Sache mit der "Weitergabe" habe ich übrigens längst und umgehend sowieso schon direkten Kontak mit der Userin aufgenommen - also keine Bange! Ich bin mir dieser Dinge sehr wohl bewusst!
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Beitrag 18.05.2011, 11:49

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Zu "Romanorum" (nur, was ich auf die Schnelle zur Hand hatte)

Brief Heinrich V an die Äbtissin Gisela von Remiremont (1106)
Heinricus dei gratia Romanorum rex ...

Urkunde Friedrichs I (1184)
regnante domino Friederico Romanorum imperatore ...

In dieser Zeit wird das Reich eindeutig als Nachfolger des antiken Reiches gesehen.



Dass Germanica ein Schreibfehler ist, ist sogar einem Küchenlateiner wie mir klar. Das ist Germanicae.
Selbiges gilt für Rex Teutonicum. Das ist Teutonicus. (Heinrich IV wird - abfällig - vom Papst so genannt).
Danke für den Hinweis.

(Obwohl ich beim Geschichtsstudium eigentlich nie von irgendjemandem wegen meines Lateins kritisiert wurde - Latinum? Okay ... und gut isses. Will ja auch keiner der Dozenten das Abiturzeugnis sehen.)
Ich hab's oben verbessert.
Höflichkeit ist keine Schwäche - Empathie ist keine Dummheit - Moral ist nicht moralinsauer

Beitrag 18.05.2011, 11:50

silverlion
waupie60 hat geschrieben: Hallo Ladon,

ich finde Ihren Aufsatz sehr gelungen.
Meinen Deutschschülern, an meiner Schule in Innsbruck würde ich für diese Niederschrift die Note Eins geben.
Wenn Sie es erlauben würde ich Ihren Aufsatz gerne in Kopie bringen und den Beitrag in meiner Schule als Diskusionsbeitrag im Unterricht verwenden.
Mir persönlich hat der Beitrag gezeigt, das es, auch wo immer, Mitmenschen leben die einen gesunden Menschenverstand haben. Was in der Heutigen Zeit nicht selbsverständlich ist,( ob Deutschland oder Österreich).
Lg Bettina
Ich würde lieber den Schülern diesen Beitrag zur Korrektur geben.
Deutschlehrer smilie_18 smilie_13

Beitrag 18.05.2011, 11:59

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Ladon
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Könnten wir jetzt mal aufhören auf Schreibfehlern rumzuhacken. Und wenn, dann hackt bitte auf mir rum - ich bin schließlich dafür da ;-)
Man kann jemanden auch auf ein vergessenes "s" in einer PN hinweisen, statt ihn oder sie mit reichlich unverhohlener Schadenfreude hier vorzuführen.

Wenn wir damit anfangen wollen Tipp- und Grammatikfehler zu verbessern, dann bleiben hier wenige Beiträge ohne Korrektur.
Herrjehmineh - man setzt sich doch in einem Forum einfach hin und tippt was runter.

Mir geht es hier um Inhalte. Und es wäre schön, wenn wir zu einer inhaltlichen Diskussion kämen.
Danke.
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Beitrag 18.05.2011, 13:47

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Ladon
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Ich versuche es jetzt nochmal in "Kurzform":

These:
Ein "deutsches Staatswesen" im Sinne von
- Staatsgebiet (zumindest im Kern) grob dem heutigen entsprechend (denn es geht ja um die Entwicklung)
- Staatsvolk (mehrheitlich deutschsprachiger Ethnien entstammend)
- Staatsgewalt (die hoheitlichen Rechte auf dem "Staatsgebiet" ausübend und das Staatswesen nach außen repräsentierend)
hat es vor 1871 nicht gegeben.

Begründung:
a) 1806-1871 gibt es das fraglos nicht.
b) Davor haben wir einen "römischen Kaiser", der konzeptionell in der Nachfolge der antiken Kaiser steht.
c) Ebenso gibt es keine Staatsgewalt im o.a. (und sozusagen allgemein anerkannten) Sinne, da das Reich stets aus vollkommen souveränen Teilreichen besteht - ein Alleinvertretungsanspruch besteht nicht und zu keiner Zeit. Die Bestandteile des Reiches (z.B. Fürstentümer) konnten so etwa Verträge mit dem Ausland schließen oder anderen Ländern des "Reiches" mal eben den Krieg erklären.
d) Sowohl Kaiser- wie auch Königstitel hatten gänzlich andere Bedeutungen als "Oberhaupt der deutschen Länder" zu sein.
e) Das "alte" Reich schon allein wegen des "Wegfalls" des Hauses Habsburg - immerhin über 400 Jahre praktisch durchgängig Kaiser dieses Reiches - als größter Komponente nicht als "Vorläufer" gelten kann.
f) Das 1871er Reich (auch wegen e) ) war nicht als Nachfolger konzeptioniert (Bismarck drängte Österreich bewusst und gewaltsam heraus und strebte ein "preußisch" dominiertes - eben NEUARTIGES - Gebilde an).
Zuletzt geändert von Ladon am 30.01.2012, 08:34, insgesamt 1-mal geändert.
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Beitrag 18.05.2011, 14:09

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Ladon
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P.S.

Die Abdankungsurkunde Franz II von 1806 beginnt so:

Wir, Franz der Zweyte, von Gottes Gnaden erwählter römischer Kaiser
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Beitrag 18.05.2011, 17:23

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Ladon
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So. Nix mehr passiert hier?

Eigentlich hatte ich erwartet, dass mir das Wormser Konkordat, die Goldene Bulle, die Reichsmatrikel (auf jeden Fall die von 1521), der Westfälische Friedensvertrag oder auch der Reichsdeputationshauptschluss von 1803 um die Ohren gehauen würde. Oder Sachen wie eben der Reichstag oder Reichsgerichtsbarkeit etc.p.p.
Oder auch ein Hinweis darauf, dass es ja auch konstitutionelle Monarchien gibt, bei denen das Staatsoberhaupt keine Staatsgewalt ausübt.
... und das ist noch nicht alles.

Statt dessen gab's das eher schwer zu belegende "Gemeinschaftsgefühl" und gelinden Spott über Tipp- und Grammatikfehler, sowie mäanderndes Ausweichen.

Naja - nix für ungut; ich persönlich bin eben gerade von dieser nicht-stringenten Geschichte der "deutschen Lande" fasziniert, denn ich glaube, dass sowohl in den jahrhundertelangen internen Konflikten, wie in der Zersplitterung und der sehr späten Manifestierung eines funktionierenden (sagen wir es einfach mal so, das dürfte jetzt wirklich keinen mehr stören) Staatswesens sehr viel unserer Mentalität, unserer Stärken (und wohl auch Schwächen) begründet liegt.

Deutschland, o zerrissen Herz,
Das zu Ende bald geschlagen,
Nur um dich noch will ich klagen
Und in einer Brust von Erz

Schweigend meinen kleinen Schmerz,
Meinen kleinen Jammer tragen,
Vaterland, um dich nur klagen.

Lustig grünt dein Nadelholz,
Lustig rauschen deine Eichen;

In den neununddreißig Reichen
Fehlt ein einzig Körnchen Golds:
Freier Bürger hoher Stolz
Fehlt im Lande sondergleichen,
In den neununddreißig Reichen.


So dichteten 1841 die "sozialistisch-revolutionären" Kreise (!), in diesem Fall G. Herwegh
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Beitrag 18.05.2011, 18:23

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Ladon hat geschrieben:f) Das 1871er Reich (auch wegen e) ) war nicht als Nachfolger konzeptioniert (Bismarck drängte Österreich bewusst und gewaltsam heraus und strebte ein "preußisch" dominiertes - eben NEUARTIGES - Gebilde an).
War es nicht eher so, dass Bismarck diplomatisch erkannt hatte, dass die großdeutsche Lösung (Staatenbund mit Österreich) auf europäischer Ebene gar nicht durchsetzbar war und er deshalb die kleindeutsche Lösung favorisierte?

Hat er nicht deshalb den Deutschen Bund mit Österreich aufgelöst zugunsten der Gründung des Norddeutschen Bundes? Und erst der eingetretene Bündnisfall, der provozierte Krieg mit Frankreich (Emser Depesche) machte die Reichsgründung 1871 letztlich möglich, da die süddeutschen Staaten vorher dem Norddeutschen Bund beigetreten waren.

Falls ich mich doch irren sollte, bitte ich um kurze Aufklärung.
Nichts hasst der im Denken geschulte mehr als die Negation der Logik.
Eine Unze bleibt eine Unze bleibt eine Unze! Mittler zwischen Hirn und H�nden muss das Herz sein!

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