Sozialstaat wächst schneller als die Wirtschaft

Tagesgespräch zu Wirtschaftsthemen wie Geldmarkt, Börse, Währung, Finanzkrise, Inflation aus Deutschland und der Welt

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Beitrag 08.07.2016, 18:22

tobi-nb
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BOB hat geschrieben: Wir sollen also diejenigen bitten und locken, die derzeit lediglich keine Lust auf Arbeit haben? Niemand braucht zu arbeiten, aber es hat auch niemand Anspruch auf ein Durchfüttern durch diejenigen, die arbeiten gehen.
Interessanter Ansatz.

Die Arbeiten, die du vorhin aufgezählt hast (Schuhe putzen, Tür aufhalten, Tank füllen....) sind allesamt dem Dienstleistungssektor zugehörig.

Einfache Arbeit für einfache Leute?

Dazu habe ich 3 grundsätzliche Fragen:

Wer soll diese Leute aus dem Dienstleistungssektor bezahlen?

Welche Arbeit sollen hochqualifizierte Arbeitnehmer übernehmen die entlassen wurden, weil Firmen/Konzerne hochwertige Produktion durch Roboter oder automatisierte Prozesse ausführen lassen.

Wenn einfache Arbeit lohnenswert (erstrebenswert??) sein soll, steht das nicht im Widerspruch zur Forderung einer hochqualifizierten Ausbildung (Pisa lässt grüßen) um global zu bestehen?

Beitrag 08.07.2016, 20:46

BOB
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Ich versuche einmal eine Teilantwort.
Zunächst einmal ist gute Bildung sicherlich erstrebenswert, denn sie ist für sich genommen bereits ein hoher menschlicher Wert. Aber es geht ja meist auch und vor allem um die damit verbundene berufliche Nützlichkeit.
Hier hat Bildung zwei Funktionen: Zum einen wächst - unbestritten - die Chance, auch bei drastischen Änderungen in den beruflichen Anforderungen flexibel mitgehen oder wechseln zu können. Zum anderen - und diese unbequeme Wahrheit unterschlägt man gern - geht es schlicht um den Vorteil gegenüber anderen. Abschlüsse und Noten haben in dieser Hinsicht nur einen Vergleichswert. Demnächst immer häufiger steht daher in Hochschulzeugnissen nicht mehr nur die Gesamtnote sondern der Rang (z.B. "23. von 245 Absolventen" oder "einer der 10 % Besten"). Hat die Mehrheit einen Bachelor, sind eben viele davon arbeitslos oder fahren bestenfalls Taxi. Ich kenne bereits heute viele Absolventen, die froh wären, so gefragt zu sein und so viel Geld zu verdienen wie ein guter Handwerker. Der aber klagt, dass er keine Mitarbeiter mehr findet. Weil man seit Jahren diesen Blödsinn erzählt, dass alle auf die Uni oder FH müssen, erzeugt man unzufriedene Schein-Akademiker statt zufriedenere Handwerker. Dies als Beispiel.

Beitrag 09.07.2016, 13:31

Mehrgoldfüralle
@bob
Trotz deiner wie immer sehr gewählten Ausdrucksweise: Alles in allem ist das was du schreibst, Sozialdarwinismus in Reinkultur. Und: Frag mal die Handwerker auf dem Bau, was sie verdienen. Damit erklärt sich der Nachwuchsmangel von selbst.

Beitrag 09.07.2016, 20:50

BOB
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Sozialdarwinistisch, neoliberal ... diese Vorwürfe sind mir im Zweifelsfall sogar lieber, als dass ich sozialromantisch geschimpft würde.
Wir tun gerade den jungen Menschen nämlich nichts Gutes, wenn wir nicht zunächst einmal von der sehr unvollkommenen Wirklichkeit ausgegehen, die es dann zu verbessern gilt. Und die sieht nun einmal in diesem Zusammenhang so aus, dass auch der Arbeitsmarkt ein Wettbewerb darstellt, der von Bildung aber auch vielen weiteren Faktoren abhängt. Eine triviale Feststellung? Ich wünschte, es wäre so. Mir fehlt nämlich bei vielen heute vor allem der Biss, besondere Chancen zu nutzen. Und das liegt daran, dass es zu einfach geht, einen immer noch bequemen Standard zu haben.
Auswahl, Unterschiede, ja sogar Ungerechtigkeit sind wichtige Triebfedern für Anstrengung, Ehrgeiz und Mehr-Erfolg. Und deshalb ist ein gewisses Maß von dem, was Du Sozialdarwinismus nennst, heute sehr angebracht, wenn wir den immer noch vorhandenen Wohlstand behalten wollen.
Du sprichst die Handwerkerlöhne an. Wenn ich sehe, was ich auf der Rechnung für eine Stunde bezahle und was der Arbeiter davon netto am Ende in der Tasche hat, weiß ich, dass es nicht damit getan ist, ein wenig draufzulegen. Warum sonst blüht gerade hier die Schwarzarbeit?

Beitrag 10.07.2016, 08:58

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Sapnovela
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BOB hat geschrieben:Sozialdarwinistisch, neoliberal ... diese Vorwürfe sind mir im Zweifelsfall sogar lieber, als dass ich sozialromantisch geschimpft würde.
...
Auswahl, Unterschiede, ja sogar Ungerechtigkeit sind wichtige Triebfedern für Anstrengung, Ehrgeiz und Mehr-Erfolg. Und deshalb ist ein gewisses Maß von dem, was Du Sozialdarwinismus nennst, heute sehr angebracht, wenn wir den immer noch vorhandenen Wohlstand behalten wollen.
Ja ist denn heute schon wieder der 1. April? Sozialdarwinismus sehr angebracht? Meinst Du das noch ernst oder willst Du nur provozieren?

Der Sozialdarwinismus überträgt biologische Gesetze auf das gesellschaftliche Zusammenleben. Daraus werden
- eine Einteilung in gutes und schlechtes Erbgut
- die Forderung nach Förderung des guten und die Auslöschung des schlechten Erbgutes sowie natürlich
- die soziale und ökonomische Auslese
hergeleitet.

Ich bin jetzt echt zu faul hier mehr zu schreiben, weil mir sonst der Kaffee wieder hochkommt.
Nur so viel: Wir hatten in Deutschland mal eine Regierung, die sich dem Konzept sehr verpflichtet fühlte. Du willst nicht ernsthaft, dass sich die Gesellschaft in diese Richtung entwickelt?

Beitrag 10.07.2016, 09:46

BOB
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Damit ich Dir nicht noch das Frühstück verdorben habe, ein paar weiteer Zeilen zu Deiner Be(un)ruhigung.
Ich hatte ganz bewusst nur "ein gewisses Maß von dem, was Du Sozialdarwinismus nennst" für "heute sehr angebracht" befunden.
Zu Deiner Beruhigung: Selbstverständlich meinte ich damit nicht den völkisch-genetischen Unsinn mit eugenischen Verbrechen als Folge.
Zu Deiner Beunruhigung: Ich meinte etwas, dass in Deiner Liste als "soziale und ökonomische Auslese" geht. Tägliche Beobachtung besagt, dass es kluge und dumme, fleißige und faule, zu besonderer Leistung fähige und willige und dazu unfähige und unwillige Menschen gibt; vor allem aber gibt es sämtliche Schattierungen dazwischen gibt.
Solche Skalen - und nicht etwa Abstammung oder gesellschaftliche Herkunft - sind für mich weiterhin wichtig für eine Auswahl im Sinne einer Sortierung (nicht negativer Selektierung) in Berufen und gesellschaftliche Schichten.
Wir neigen "heute" jedoch dazu, Unterschiede zu verwischen und alles für "irgendwie gleichwertig" zu halten, und zwar für höherwertig. Man will nicht nur "Elite" abschaffen, sondern alle wollen dazugehören - ein Widerspruch in sich. Und so geht eben inzwischen die Mehrzahl auf die ehemalige Eliteschulform Gymnasium und anschließend auch noch auf die Hochschulen, um zumindest einen Bachelor zu machen. Man will sich nicht bilden, sondern als gebildet dastehen.
Deshalb bin ich für ein differenziertes und auch differenzierendes Bildungs- und Berufssystem - und damit meinetwegen auch etwas Sozialdarwinist.

Beitrag 10.07.2016, 10:11

Mehrgoldfüralle
@bob

Heute Morgen lese ich in der Zeitung: 2,5 Millionen Menschen in Deutschland haben neben ihrer Festanstellung noch einen Minijob. Stand 30.06.2015 nach 1,4 Millionen ein Jahr zuvor. Die sind eben einfach für alles zu blöd, erkennen ihre Chancen nicht und nehmen ihre Gelegenheiten nicht wahr. Traurig, das alles. Dabei ist doch jeder seines Glückes Schmied, wie Bill Gates, Marc Zuckerberg und Bob der Baumeister nachgewiesen haben, oder nicht?

Einkommensunterschiede können sehr wohl gerechtfertigt sein. Die derzeitigen Auswüchse, die obrigkeitlich geförderten Umverteilungen, die Verelendung breiter Bevölkerungsschichten dagegen nicht. Es können Billionen Dollars, Euros und Yens aufgebracht werden zur Stützung von Banken und Aktienmärkten. Gleichzeitig gibt es in der globalisierten Welt seit etwa 40 Jahren nahezu keine realen Lohnzuwächse mehr.

Das hat mit Sozialromantik nichts zu tun sondern das ist eine Frage des sozialen Friedens und schlicht der Menschlichkeit. Lösungen gibt es, es müsste nur gewollt werden.

Beitrag 10.07.2016, 10:24

lifesgood
... diese Zahl hat nur wenig Aussagekraft, solange man nicht weiß, wie viele von diesen 2,5 Millionen in der Festanstellung auch Vollzeit arbeiten.

Ich habe gestern im Radio einen Bericht zu dem Thema gehört, dabei wurde auch erwähnt, dass zunehmend auch Menschen in der Festanstellung mit den Stunden zurückgehen und dafür einen 450 € - Job annehmen, weil dies steuerlich subventioniert ist.

Ich denke das ist auch eine Folge des Mindestlohnes, denn beim 450 € Job hat man die 8,50 € netto. Die hat mancher in der Festanstellung nach Abzug von Sozialversicherung und Steuer eben nicht mehr und tendiert daher zu dieser Lösung.

Dass dies natürlich im Hinblick auf Rente usw. ein Fehler ist, steht außer Frage.

lifesgood

Beitrag 10.07.2016, 10:31

Mehrgoldfüralle
lifesgood hat geschrieben:... diese Zahl hat nur wenig Aussagekraft, solange man nicht weiß, wie viele von diesen 2,5 Millionen in der Festanstellung auch Vollzeit arbeiten.

Ich habe gestern im Radio einen Bericht zu dem Thema gehört, dabei wurde auch erwähnt, dass zunehmend auch Menschen in der Festanstellung mit den Stunden zurückgehen und dafür einen 450 € - Job annehmen, weil dies steuerlich subventioniert ist.

Ich denke das ist auch eine Folge des Mindestlohnes, denn beim 450 € Job hat man die 8,50 € netto. Die hat mancher in der Festanstellung nach Abzug von Sozialversicherung und Steuer eben nicht mehr und tendiert daher zu dieser Lösung.

Dass dies natürlich im Hinblick auf Rente usw. ein Fehler ist, steht außer Frage.

lifesgood
Das ist korrekt. Das mit der Aussagekraft sehe ich anders. Die Leute werden das ja nicht aus Spaß an schlechtbezahlten Jobs machen, sondern weil sie das Geld brauchen.

Beitrag 10.07.2016, 10:55

BOB
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@ Mehrgoldfüralle:
Niemand behauptet, dass die Welt gerecht ist - und ich ergänze: "sein kann".
Was sagt uns die Mini-Job-Statistik? Auf Anhieb fallen mir drei Aspekte ein.
1) Ohne groß nachzudenken, fallen mir allein in meinem Umfeld fünf junge Menschen ein, die mit Erlaubnis ihres regulären Arbeitgebers neben ihrer 38- oder 40-Stunden-Arbeit nebenbei noch einen Mini-Job (z.B. zur Softwareentwicklung) angenommen haben. Nicht aus Not (sie verdienen überdurchschnittlich gut), sondern als freiwilliges Extra an Arbeit für gewünschte Extras des Lebens.
2) Mini-Jobs sind für den Arbeitgeber bürokratisch weniger aufwändig, Arbeitnehmer können brutto gleich netto gestellt werden. Mini-Jobs sind die legale Alternative zur Schwarzarbeit.
3) Wir alle sind durch die vergangenen Jahrzehnte etwas verwöhnt. In der Generation meiner Eltern hatte nicht einmal jeder Haushalt ein Auto, geschweige denn mehrere, Urlaub machte man in einer Pension, wer baute, machte Überstunden oder arbeitete schwarz, eine Reise in die USA war ein einmaliger Lebenstraum, auf den man jahrelang hinsparte.
Nein, ich will diese Zeiten keineswegs zurückrufen. Aber was viele heute nicht nur als normal, sondern sogar als eine Art Menschenrecht auf Teilhabe am Wohlstand beanspruchen, ist Teil des Problems.
Extrem und auch ungerecht hohe Einkommen und Vermögen dürfen kein Vorwand für den Normalbürger sein, dass sich ja Arbeit sowieso nicht lohne. Frühere Generationen hatten auch ihre Industriemagnaten, Villen- und Großgrundbesitzer und zudem noch Fürstenhäuser und Adel, mit denen sie sich arrangiert haben. Heute heißen die Krupps und die "von-und-zu"s eben Gates und Geißen - na und?

Beitrag 10.07.2016, 11:26

Mehrgoldfüralle
Arbeitslosigkeit wird erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts als wirtschaftliches Problem wahrgenommen. Vorher gab es das nicht aus Mangel an Arbeitsmangel. Aber siehst du nicht - oder willst es nicht sehen? - die seither stattgefundenen Veränderungen, nämlich unter anderem Bevölkerungswachstum, Industrialisierung, immer weiter fortschreitende Produktivität? Sicher sind Menschen unterschiedlich motiviert, sie sind unterschiedlich intelligent und unterschiedlich gierig. Sie allein dafür in einer Welt mit Überfluß an allem durch Mangel zu bestrafen halte ich für menschenverachtend. Das muß anders gelöst werden.

Was nun deine Bekannten angeht: Auch das ist unterschiedlich, gewiß repräsentieren sie nicht die Mehrheit derer, die dazu verdienen muß.

Beitrag 10.07.2016, 12:13

lifesgood
Ihr diskutiert am Grundproblem vorbei.

Durch die zunehmende Automatisierung wird die menschliche Arbeitskraft, die zur Produktion eines Gutes benötigt wird, immer weniger.

Gleichzeitig wird aber das Sozialwesen (Kranken-, Renten-, Arbeitslosen-, Pflegeversicherung usw. usw.) nur über relativ immer weniger benötigte menschliche Arbeitskraft finanziert.

Hier trifft ein Sozialsystem aus der Mitte des 20. Jahrhunderts auf die Technologie des 21. Jahrhunderts.

Man kann hier natürlich ein wenig an den Symptomen herumdoktern, aber eine nachhaltige Lösung kann und wird es erst geben, wenn man an die Ursache geht.

lifesgood

Beitrag 10.07.2016, 13:47

Mehrgoldfüralle
Aha. Jetzt nähern wir uns des Pudels Kern. Offensichtlich ist die protestantische Arbeitethik nicht mehr zielführend. In einer Welt, in der es immer weniger menschlicher Arbeitskraft bedarf, müsste halt der Stellenwert von Lohnarbeit neu überdacht werden.

Andererseits gäbe es unendlich viel zu tun im sozialen Bereich, Kinder, Pflege, Krankheit uswusf, die Liste ist erweiterbar.

Jetzt kommt natürlich die Frage nach der Finanzierbarkeit. Die Antwort ist aber sehr einfach. Entweder es kann zur Verfügung gestellt werden, was die vorhandenen Menschen brauchen oder nicht. Ich bin der Ansicht, es kann.

Beitrag 10.07.2016, 14:08

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Sapnovela
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Mehrgoldfüralle hat geschrieben:Aha. Jetzt nähern wir uns des Pudels Kern. Offensichtlich ist die protestantische Arbeitethik nicht mehr zielführend. In einer Welt, in der es immer weniger menschlicher Arbeitskraft bedarf, müsste halt der Stellenwert von Lohnarbeit neu überdacht werden.

Andererseits gäbe es unendlich viel zu tun im sozialen Bereich, Kinder, Pflege, Krankheit uswusf, die Liste ist erweiterbar.

Jetzt kommt natürlich die Frage nach der Finanzierbarkeit. Die Antwort ist aber sehr einfach. Entweder es kann zur Verfügung gestellt werden, was die vorhandenen Menschen brauchen oder nicht. Ich bin der Ansicht, es kann.
Sehe ich auch so. Unter dem Stichwort Industrie 4.0 verbirgt sich ja nicht viel weniger, als die Automatisierung bisher von Menschen gemachter Arbeit. Die niedrigen Zinsen tun ihr übriges um im Rahmen einer Investitionsentscheidung die Verteilung zwischen maneuller Arbeit und automatisierter Arbeit in Richtung Automatisierung zu verschieben, ganz einfach weil sich bei niedrigen Zinsen Investitionen in Anlagen/Mschienen/Computer/Software leichter finanzieren lassen.
Die Finanzierung von Staaten über Lohn- und Arbeitseinkommen wird also immer schwieriger. Daher halte ich es für notwendig das untere Lohnniveau so anzuheben, dass die Menschen damit auch leben können und eben nicht mehr aufstocken müssen. Zum anderen müssen die Steuern an anderen Quellen eingenommen werden und zwar dort, wo das Geld verdient wird. Es ist bspw. nicht einzusehen, dass Kapitalerträge deutlich niedriger besteuert werden, als Arbeitseinkommen, wenn diese einen zunehmenden Teil der gesamtstaatlichen Wertschöpfung absorbieren.

Beitrag 10.07.2016, 14:23

lifesgood
... solange es irgendwo auf dieser Welt Discount-Steuerländer gibt und man nicht in der Lage ist, den Gewinn-Transfer in Discount-Steuerländer zu unterbinden, wird man das Problem nicht in den Griff bekommen.

Denn selbst die ohnehin schon günstige Besteuerung von Kapitalgesellschaften ist offensichtlich manchen Konzernen zu viel und sie verschieben Gewinne in Discount-Steuerländer.

Im Kampf gegen die illegale Steuervermeidung (Steuerhinzterziehung) hat man in den letzten Jahren schon viel erreicht. Es wäre an der Zeit die legale Steuervermeidung anzugehen.

lifesgood

Beitrag 10.07.2016, 17:06

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Sapnovela
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lifesgood hat geschrieben:... solange es irgendwo auf dieser Welt Discount-Steuerländer gibt und man nicht in der Lage ist, den Gewinn-Transfer in Discount-Steuerländer zu unterbinden, wird man das Problem nicht in den Griff bekommen.

Denn selbst die ohnehin schon günstige Besteuerung von Kapitalgesellschaften ist offensichtlich manchen Konzernen zu viel und sie verschieben Gewinne in Discount-Steuerländer.

Im Kampf gegen die illegale Steuervermeidung (Steuerhinzterziehung) hat man in den letzten Jahren schon viel erreicht. Es wäre an der Zeit die legale Steuervermeidung anzugehen.

lifesgood
Absolut. Gerade US Firmen wie Fratzenbuch, Google und Starbucks tun sich da hervor. Das ist zwar kompliziert zu regeln, aber durch nationale Mindest-steuersätze und-verrechnungssätze durchaus möglich. Auf EU-Ebene mit Juncker, dem obersten aller Steuerhinterziehungsbeihelfer aber nicht realistisch. Umso wichtiger TTIP und CETA zu stoppen, denn sonst sind solche Optionen für die Zukunft verbaut, denn es geht ja gerade um die Abschöpfung von Gewinnen durch Steuern. Es ist nicht einzusehen, dass ein kleines lokales Cafe Steuern zahlt, der Nachbar Starbucks aber nicht.

Beitrag 10.07.2016, 21:18

Mehrgoldfüralle
@sapnovela
@lifesgood

Leider habt ihr beide nur zu recht. Hier mal noch ein paar Auswüchse, die möglicherweise noch nicht jeder kennt: Facebook hat seinen Mitarbeitern in London je 1 Million Dollar! Gratifikation gezahlt. Ergebnis, Null Steuer. Apple hat in seiner irirschen Dependance 211 Milliarden Dollar liegen, die wegen etwa anfallender Steuern nicht in die USA transferiert werden können. Also lässt man sie da und begibt neue Anleihen.

Aber mit Mister nullkommafünfprozent Junker und Konsorten ist halt nichts zu machen. Dabei wäre auch das relativ einfach zu lösen, wenn es gewollt wäre: Steuern da, wo die Umsätze anfallen und fertig. Strenge Regeln für Abgaben auf Lizenzen und Patente und schon hätten wir eine Konzernbesteuerung, die ihre Bezeichnung verdient. EU und der Euro-Raum sind ja immerhin wirtschaftlich so interessant, dass es sich jeder Konzern überlegen würde, ob er hier Umsätze machen will oder nicht.

Leider sind das nur fromme Wünsche. Erst müssen mal wieder Banken und Immobilienfonds gerettet werden. Weil Bail ins politisch nicht durchsetzbar sind, läuft es auf Bail outs hinaus. Man muß halt Prioritäten setzen.

Beitrag 10.07.2016, 23:50

BOB
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Ob es Euch nun wundert oder nicht - den meisten der zuvor genannten Punkte stimme ich völlig zu.
Zum Beispiel braucht auch für mich eine EU erst gar nicht an noch mehr Integration ( = Macht) zu denken, wenn sie unfähig, nein unwillig ist, die Unternehmensbesteuerung vernünftig zu vereinheitlichen - die derzeitige Situation ist lächerlich und traurig zugleich.
Auch sind mir die Probleme der "Industrie 4.0" nicht neu (übrigens ein Begriff, der von Deutschland geprägt wird und den man in USA, Japan oder China nicht versteht und auch nicht verwenden will).
Gerade deshalb hatte ich mich nicht auf Themenfelder wie globales Investmentbanking oder Automobilindustrie bezogen, sondern auf Dienstleistungen, die alltäglich, "face-to-face" und nahezu unabhängig von der Weltpolitik geschehen. Die Wirtin meiner Waldgaststätte weiß gerade schon, dass es die DDR nicht mehr gibt, versteht aber gewiss nicht, warum sie keine deutsche Bedienung mehr findet. Kann man das wirklich Google, Amazon und der Deutschen Bank in die Schuhe schieben? Nein, es liegt daran, dass die Alternative nicht darin besteht, zu arbeiten oder tatsächlich zu verhungern, sondern darin, sich etwas mehr oder etwas weniger leisten zu können.
Es gibt in unserer Gesellschaft nicht etwa nur Neid zwischen denen, die mehr und die weniger Geld haben, sondern auch zwischen denen, die die Arbeit mehr oder weniger wichtig nehmen. "Arbeit lohnt nicht" ist bereits ein schlechter Witz in sich. Arbeit ist nun einmal in der Regel kein Wunschkonzert an Beschäftigung zur Selbstverwirklichung, sondern man bekommt den Lohn meist als Schmerzensgeld für die Zeit, die man für sie opfert. Ausnahmen gibt es, sind erfreulich, aber bestätigen nur die Regel.
Übrigens: Als Katholik liegt mir das rheinische "leben und leben lassen" deutlich näher als eine selbstgeißelnde "protestantische" Arbeitsethik.

Beitrag 11.07.2016, 07:14

tobi-nb
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BOB hat geschrieben:Nein, es liegt daran, dass die Alternative nicht darin besteht, zu arbeiten oder tatsächlich zu verhungern, sondern darin, sich etwas mehr oder etwas weniger leisten zu können.
Es gibt in unserer Gesellschaft nicht etwa nur Neid zwischen denen, die mehr und die weniger Geld haben, sondern auch zwischen denen, die die Arbeit mehr oder weniger wichtig nehmen. "Arbeit lohnt nicht" ist bereits ein schlechter Witz in sich. Arbeit ist nun einmal in der Regel kein Wunschkonzert an Beschäftigung zur Selbstverwirklichung, sondern man bekommt den Lohn meist als Schmerzensgeld für die Zeit, die man für sie opfert. Ausnahmen gibt es, sind erfreulich, aber bestätigen nur die Regel.
Zum einen bleibt die Frage unbeantwortet, wer den (von dir geforderten) wachsenden Dienstleistungssektor finanzieren soll?

Zum anderen (und das ist viel entscheidender) wieso soll menschliche Arbeit 'schmerzhaft' sein?
So ziemlich alles aus meiner Umwelt wurde nichtmehr durch Menschenhand sondern durch Maschinen geschaffen. Und ich behaupte, diejenigen, denen die Maschinen gehören, unterscheiden sich kaum intellektuell, physisch oder psychisch von dem überwiegenden Rest der Bevölkerung, mit der Ausnahme, dass sie den überwiegenden Teil des Geldes für sich beanspruchen, den andere für sie erwirtschaften.

So richtig kann ich nicht erkennen, dass es sinnvoll oder 'richtig' wäre, 'denen' die Schuhe zu putzen oder die Toilettenbrille abzuwischen.

Beitrag 11.07.2016, 09:11

Goldunze
tobi-nb hat geschrieben: [...]
Zum anderen (und das ist viel entscheidender) wieso soll menschliche Arbeit 'schmerzhaft' sein?
[...]
Ich empfinde es schon als sehr schmerzhaft, jeden morgen aufstehen und zur Arbeit zu müssen.

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