Der Mittelstand knickt zunehmend ein, die Schere zwischen Reich und Arm klafft immer weiter auseinander. Das TV bietet eine preisgünstige, greifbare und naheliegende Möglichkeit zur Freizeitgestaltung, zum Kinderhüten und zur Berieselung (auch zur Betäubung, auf gewisse Art).
Unterschicht will zwar keiner sein, und ich denke, hier im Forum sind es auch wenige - aber ich würde mich zeitweise durchaus dazu zählen wollen. In den Jahren 2008 und 2009 war ich definitv nicht mehr "Mittelschicht" (trotz gewisser Reserven, die dann aber, zB durch Reparaturstaus, auch eine Abwertung erfuhren). Ich denke auch, dass ich damit absolut nicht alleine dastehe - ich kenne einige Leute aus dem Mittelstand, die es zwar irgendwie geschafft haben, noch die ImMobilien und den Grossteil der Mitarbeiter zu halten, die dafür dann aber abends zur Tütensuppe greifen... Das eigene Einkommen lag oft weit unter dem Lebenshaltungsminimum und die "Reserven" sind mittlerweile bei fast allen futsch. Da ist es doch hilfreich, die scheinbaren (sorry) "Knotten" im TV zu beobachten und zu wissen: nein, SO WEIT UNTEN bin ich nicht und werd ich nie sein! Und dieser Effekt erhöht die Einschaltquote.
Das Wort "bildungsferne Schichten" halte ich für ein reines Politikum der Post-Aufklärungs-Zeit. Ich erwarte zB von meinem Dachdecker nicht, dass er Thomas Malt zitieren kann, ich erwarte, dass er ein guter Dachdecker und ein korrekter Geschäftspartner ist. Eine Toilettenfrau scheitert völlig ohne soziale Kompetenz (und ich kenne da die eine oder andere, die durch soziale Kompetenz ihren Umsatz so erhöht hat, dass sie locker hier im Forum unterwegs sein könnte), usw... Das gehört, in meinen Augen, zum DSDS-Syndrom: heute denkt doch jeder, dass er sich mit einer guten Bildung oder mit harter Arbeit oder einem besonderen Talent zum Superstar mausern kann. Ich denke leider: die Zeiten sind vorbei. 50% der Obdachlosen in Köln sind Akademiker.
Nein - das was ich da sehe, ist zB extremer Sozialneid. Grad die Gerichts- und Talkshows bei Sat1, aber auch die "Reality-Soaps" bei RTLII, sind da für mich plakativ. Das Ziel ist, etwas zu zeigen, was so (sorry) abgerockt ist, dass es auch der letzte "Schlaffi" noch schafft, sich darüber erhaben zu fühlen und damit seinen Selbstwert mal kurz aufzupolieren.
Genau das trifft es. Diese kleine Foren-Analyse beschreibt gleichzeitig das Wirkprinzip vom TV - allerdings geht es dabei dann weniger um die Leute, die angeblich meinen, sich hervortun zu müssen - sondern um die, die es belächeln oder sich darüber aufregen. Denn dieser Akt des Belächelns oder aggressiv Abgrenzens schafft die Differenzierung und das Gefühl der Erhabenheit... In dem Moment nutzen etliche TV-Zuschauer die Gelegenheit, herabzuwürdigen und sich erhaben zu fühlen.Es ist immer eine Frage des Blickwinkels. Es gibt Leute die müssen sich nach "unten" besonders heraustun und werden auf gleicher Ebene eher müde belächelt.
Ich habe zB früher Talk-Shows echt gemocht. Ich konnte gut mal einen Nachmittag damit zubringen. Wenn ich das heute, rund zehn Jahre später, am Rande mitbekomme, bin ich erschüttert - und ich frage mich dann, wo die diese Leute ausgraben. Aber sie graben sie aus, damit der Fernsehzuschauer davor sitzt und für eine Weile das Gefühl bekommen kann, dass er "was Besseres" ist.
Genauso bei angeblich "politischen" Sendungen mit Voting - wenn wir schon sonst nix zu melden haben, kann man wenigstens da mal sagen "ich hätte besser argumentiert" und dem augenscheinlich "schlechteren" Gesprächspartner eine reinwürgen, indem man ein Knöpfchen drückt.
Es ist eine reine Projektionsfläche. Genau wie hier im Forum. Solange man sich dessen bewusst ist, ist ja alles im grünen Bereich.
LG
Venya