Steinzeitliche Anarchie

Tagesgespräch zu Wirtschaftsthemen wie Geldmarkt, Börse, Währung, Finanzkrise, Inflation aus Deutschland und der Welt

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Beitrag 13.11.2017, 11:25

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Ladon
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Das ist ja nichts Neues. Die Forderungen nach weniger bis gar kein Staat sind so alt, wie Nationalstaaten selber. Wahrscheinlich noch viel älter.
Das große Problem dieser Forderungen ist, dass hoch komplexe, hoch arbeitsteilige und hoch vernetzte Gesellschaften doch ein wenig andere Ansprüche an die Verwaltung und den Betrieb z.B. unendlich vieler Infrastruktursysteme, als erheblich einfacher strukturierte Gesellschaften früherer Zeiten.
Aber nicht nur dieses zweifelsfrei gewichtige Argument wird von Befürwortern einer starken Staatsgewalt* immer wieder angeführt. Bislang bestand ein weiteres Problem darin, dass historisch gesehen das Vakkum einer abwesenden Staatsgewalt von einer anderen rasch ausgefüllt wird.
Die Kristallisation sehr früher Stadtstaaten in Mesopotamien und Indien, so allgemeine Auffassung, gehen mit der Ausbildung staatlicher Strukturen (inklusive "nomisma", also "Regierungsgeld" im Sinne des Aristoteles) einher. Die Notwendigkeit von Handel (mit nicht direkt verfügbaren Gütern (in Babylon, Ur ist das etwa Holz)) - also auch der Entwicklung standardisierter Zahlungsmittel - Verteidigung und zu koordinierender Arbeitsteilung, scheint sesshafte Gesellschaftsformen zwnagsläufig mit Staatsgewalt zu verknüpfen.

Diese Lehrmeinung scheint in den letzten Jahren ins Wanken gekommen zu sein, was Archäologen und Anthropologen zu nahezu hektischer Betriebsamkeit bringt.
Was ist passiert?
Seit Anfang des Jahrtausends gab es mehr und mehr Funde früher Gesellschaften, die eindeutig sesshaft waren. Hinweise auf Zentralverwaltung oder andere Machtstrukturen sucht man vergeblich (Prachtbauten, Artefakte, die als "Insignien" zu erkennen wären etc.) Auf einmal besteht eine Lücke von 4.000 (!) Jahren zwischen dem Auftreten sesshafter Gemeinschaften und dem Nachweis staatlicher Strukturen.
Natürlich heißt das nicht zwangsläufig, dass solche Strukturen nicht existiert haben.
Es dürfte recht spannend sein, was da jetzt zutage kommen wird.

Um es nochmal zu sagen:
Zwischen einer sesshaften Dorfgemeinschaft der Steinzeit und einem modernen Staat mit Abermillionen von Einwohnern gibt es "verwaltungstechnisch" selbstredend einen gewissen Unterschied ...
Trotzdem ist der Nachweis ... na, sagen wir mal: die Möglichkeit einer ziemlich langen Phase in der Menschheitsgeschichte, in der augenscheinlich so eine Art positiver Anarchismus geherrscht zu haben scheint, eine gewichtige Erkenntnis.


-----------------
*: das hat erst einmal NICHTS mit undemokratisch, ausbeuterisch usw. zu tun!!!

(Die Info stammt ursprünglich und mit entsprechenden Verweisen, aus dem New Scientist)
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Beitrag 13.11.2017, 12:31

Gladius
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Interessante Hypothese. Gibt es ein konkretes Beispiel auf welche Funde du dich beziehst?

Beitrag 15.11.2017, 07:02

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Ladon
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New Scientist 7.10.2017 (S. 41f)
Besprechung von Scott, James C.; Against the Grain: A deep history of the earliest states

Konkret wird sich im Artikel u.a. hierauf bezogen: 11.000 Jahre alte Siedlung Göbekli Tebe
gefunden wurden "Strukturen", die auf Lagerhaltung und Getreideanbau schließen lassen. Aber es gibt wohl für folgende Jahrtausende nicht den kleinsten Hinweis auf "Staatsgewalt".
(Wenn du Pyramiden oder Paläste findest, liegen die Dinge anders)
Oder, wenn man so will: es gibt also "evidence" für (unbefestigte) Siedlungen.
Welche Faktoren die Menschen der Steinzeit dann zur Ausbildung von "Machtstrukturen" brachte, ist ungeklärt. Heutiges Wissen der Anthropolgen legt nahe, dass dieser Schritt nicht freiwillig vollzogen wird (Bspe.: Nordamerikas Ureinwohner, die San in Südafrika) und erhebliche Folgen für die betroffene Gesellschaft hat.
Hunger? Furcht? Oder Versklavung (Entwicklung geht ja nicht überall gleichzeitig vonstatten)? Die Notwendigkeit die Ernte zu schützen und zu "verwalten" spielt eine weitere Rolle.
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Beitrag 15.11.2017, 09:29

Turnbeutelvergesser
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Da lief mal ne Doku über Steinzeitliche Leichenfunde im Osten Deutschland. Die Funde legen nahe, dass es, so bald es um Besitz geht, also Menschen sesshaft wurden, menschliche Konflikte auftauchen. Sprich Mord und Totschlag. Eingeschlagene Schädel und Pfeilspitzen sprechen ne recht deutliche Sprache. Klang alles im allen nicht sehr friedlich.

Beitrag 15.11.2017, 10:36

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VfL Bochum 1848
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Turnbeutelvergesser hat geschrieben:Da lief mal ne Doku über Steinzeitliche Leichenfunde im Osten Deutschland. Die Funde legen nahe, dass es, so bald es um Besitz geht, also Menschen sesshaft wurden, menschliche Konflikte auftauchen. Sprich Mord und Totschlag. Eingeschlagene Schädel und Pfeilspitzen sprechen ne recht deutliche Sprache. Klang alles im allen nicht sehr friedlich.
Genau in der Sesshafigkeitswerdung der Menschen liegen meines Erachtens viele Probleme auch der heutigen Gesellschaft begründet. Jäger und Sammler hatten kein definirtes Territorium das es zu verteidigen oder um das es zu kämpfen galt. Auch waren die Menschen durch das schwankende Nahrungsangebot vor Überbevölkerung geschützt, eine Jäger- und Sammlergesellschaft hätte niemals das Nahrungsangebot bereitstellen können, um die seit der Sesshaftwerdung anschwellende Erdbevölkerung, nun über viel mehr Nahrung durch Landwirtschaft verfügend, ernähren zu können. Viele heutige (und frühere) "Zivilisationskrankheiten", nicht zuletzt psychische, sind das Resultat eben dieser Sesshaftigkeitswerdung.

Schlußfolgernd könnte man sagen, die Sesshafwerdung des Homo Sapiens war nicht von Intelligenz geprägt, war keine gute Idee. Oder vielleicht hätte besser der Neandertaler statt des Homo Sapiens bis heute überlebt, der ist nie sesshaft geworden.
VfL Bochum? -Find ich gut!

Beitrag 15.11.2017, 11:07

Turnbeutelvergesser
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So ganz schwarz weiß würde ich das nicht einteilen. Sesshaftigkeit hat nicht nur Nachteile. Sie bringt Arbeitsteilung, somit mehr Zeit für kreative Dinge wie Kunst/Wissenschaft etc, mehr Planbarkeit bei der Nahrung. Besitz weckt natürlich immer Begehrlichkeiten. Wie das ganze geplant und aufgeteilt wird, ist wahrscheinlich seit Menschengedenken eine komplexe Angelegenheit. Ansonsten würden wir immer noch in Zelten und Höhlen hausen und uns als Jäger und Sammler durchschlagen. Und wer sagt uns, dass in schwierigen Zeiten Alte/Kranke/Schwache/Kinder da nicht auch hinten runter fallen? Ich denke, man sollte diese Zeiten nicht romantisieren. Da ging´s vermutlich jeden Tag knallhart ums überleben.

Beitrag 15.11.2017, 23:28

Quinar
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Sagt mal wieder mehr über die Zeit des Betrachtens (2017) und ihr Hintergrundrauschen aus als über die betrachtet Epoche.

Nach meinem Stand (ist zugegebenermaßen 8-9 Jahre alt) ist für Göbekli Tepe nichteinmal Wohnbesiedlung nachgewiesen.

Das Fehlen von Wohnbauten einer Oberschicht in einem Heiligtum ist schon ein interessantes Argument um epipaläolithische Anarchos zu generieren.

Beitrag 16.11.2017, 08:34

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Ladon
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VfL Bochum 1848 hat geschrieben:...
Schlußfolgernd könnte man sagen, die Sesshafwerdung des Homo Sapiens war nicht von Intelligenz geprägt, war keine gute Idee.
Naja, so ein wenig Fortschritt ist schon nicht verkehrt. Ich für meinen Teil habe weder Lust zu Jagen, noch Beeren zu sammeln - und auch nicht auf Ackerbau.
Arbeitsteilung ist super!
[/quote]
VfL Bochum 1848 hat geschrieben:...
Oder vielleicht hätte besser der Neandertaler statt des Homo Sapiens bis heute überlebt, der ist nie sesshaft geworden.
Äh. Soweit man wohl heute weiß, waren das keine Bauern. Eine Menge bewohnter Höhlen deutet aber zumindest auf teilweise Sesshaftigkeit hin. Jedenfalls auf eine gewisse Standorttreue, wenn eine Höhle über Jahrhunderte, wenn nicht länger, bewohnt war.
Außerdem ist der Neanderthaler nicht die einzige andere Hominidenrasse, die wir ausgerottet haben. Letzter Stand der Dinge sind meines Wissens 5 (in Worten: fünf!)


Nun, wer aber das süße Leben in der Steinzeit vorzieht ... der kann sich den oben erwähnten San anschließen. Oder einigen Aborigines Stämmen.


@ Quinar
Nun, bei allem Respekt, ich habe Dir eine aktuelle Quelle geliefert. Das legt schon nahe, dass Dein Wissen veraltet ist. Allerdings bin ich kein Archäologe. Deswegen ist es natürlich möglich, dass der New Scientist ein Buch vorstellt, das nicht auf Fakten gründet.
Wenn Du Dich erinnerst: ich habe diesen Thread begonnen, WEIL es neue Erkentnisse gibt.

@ alle
Meines Wissens sind weder Archäologen noch Anthropologen hier. Da muss man sich einfach auf Fachleute und den jeweils aktuellen Stand der Dinge verlassen.
Interessiert hat mich sowieso mehr die interessante Geschichte, dass es ZUM ERSTEN MAL (!!!) "hard evidence" für sesshafte Gesellschaften OHNE nachweisbare Staatsgewalt gibt.
Meines Erachtens Wasser auf die Mühlen der "Weniger-Staat" Freunde.
Aber interessiert wohl keinen. Also bleiben wir OT ;-)
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Beitrag 16.11.2017, 18:10

Quinar
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Auf dem Tepe gräbt das DAI (Deutsches Archäologisches Institut)

Ich verlinke für Leute welche tatsächlich an die "Quelle" wollen mal deren Seite.

https://tepetelegrams.wordpress.com/

Nebenbei,
wenn ich meine Brötchen und meine 3,5 Grain Au auch längst anderweitig z`ammkratze und wenn ich auch länger,intensiver und abschließender andere Hörsaalsitze als die der grabenden Zunft "besessen" habe...
an meinen Stiefeln klebt zentnerweise Kampagnenlehm(wenn auch nicht fürs DAI,sondern "nur" ein popeliges Landesamt)

Kurzzitat in Bezug auf den Tepe aus

" Feast, Famine or Fighting"
Multiple Pathways to Social Complexity

Hrsg,
Richard J Chacon
Ruben G Mendoza

"...it is likely that the site was the cultic center of t r a n s e g a l i t a r i a n groups."

Nope, so ist Anarchie nicht machbar Herr Nachbar,

auch wenn Kritik an staatsnahen (Pseudo)eliten gewiß nicht überall + jederzeit auf Ablehnung stoßen muß.

Beitrag 16.11.2017, 21:17

Marek
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Hallo,

ich bin kein Fachmann für Geschichte oder Politik
und stimme somit allem oben gesagten zu.
Geht dann ja auch nicht anders! smilie_11 smilie_08

Aber in "Anarchie" - im Sinne von ganz ohne Regeln -
haben die Leute mit Sicherheit nicht gelebt?
Das schafft keine Gemeinschaft auf Dauer....

Liebe Grüße
Marek

Beitrag 16.11.2017, 23:01

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Ken.Guru
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anarchie ist keine anomie. ein staat ist für das zusammenleben in gemeinschaften nicht unbedingt nötig. anscheinend eher hinterlich. smilie_02
Diese Oneman Show hier hat soviel mit Meinungsfreiheit zu tun wie ein Zitronenfalter mit Zitronen falten. Meine Sperrung war wohl das Beste was mir passieren konnte. Danke an alle linken Weltverbesserer. Irgendwann merkt ihr wie bescheuert ihr seid.

Beitrag 17.11.2017, 01:26

Quinar
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Ladon hat geschrieben:.
Interessiert hat mich sowieso mehr die interessante Geschichte, dass es ZUM ERSTEN MAL (!!!) "hard evidence" für sesshafte Gesellschaften OHNE nachweisbare Staatsgewalt git.
Nö!

Da wäre eben gerade nada y niente, nothing, rien,schlicht jarnüscht an "hard evidence"

Debatten um die Sinnhaftigkeit einer "conclusio ex silentio" versus "conclusio contra silentio" sind selbst in einem historisch halbwegs greifbaren Raum hochspekulativ.

Ich halte sogar die gegenteilige Schlußfolgerung (Chacon/Mendoza) welche den Tepel als kultisches Zentrum tansegalitärer Gruppen ansprechen will für problematisch(wenn sie auch ein wenig plausibler daherreitet)

Meine Fresse, zu meiner Zeit war es hip jeden Bandi-Befund(und davon gibbet nen Haufen http://deacademic.com/dic.nsf/dewiki/137864 ) auf "ökologische Fragestellungen" hin abzurütteln.

Da wundert es im Grunde also nicht daß auch der Tepe nun für die Spiegelung 2017er Selbstreflektionen herhalten muß.

Die Dänikens-Aluhutsammlung-Fraktion darf dort ja auch schon mitspielen....

Beitrag 17.11.2017, 07:33

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Kursprophet
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Draussen nur Kännchen

Beitrag 17.11.2017, 18:36

Quinar
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Kursprophet hat geschrieben:Draussen nur Kännchen
Zwote Novemberhälfte bleibt Off-Season Kermit.

Beitrag 18.11.2017, 06:24

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gullaldr
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Eigentlich wollte ich nichts zu diesem Thread schreiben, weil meiner Ansicht nach die meisten "fachfremden" Forums-Diskussionen überhaupt nichts bringen, sondern nur in persönlichen Anwürfen enden.

Da aber dieses Thema, das ich schon versunken wähnte, ständig wieder nach oben transportiert wird, wenn auch zuletzt nur durch Insider-Witze, sage ich eben doch etwas dazu.

1. Eine Diskussion zu einem solchen Thema in einem Edelmetall-Anleger-Forum ist völlig müßig. Es dürfte kaum jemand unter den Diskutanten sein, der über ausreichende Kenntnisse zum Forschungsstand in der Vor- und Frühgeschichte verfügt, um hier eine angemessene Antwort geben zu können. Selbst ich, der tendenziell etwas zumindest ein wenig in diese Richtung gehendes studiert hat, muss eingestehen, hiervon wenig Ahnung zu haben. Was soll also solch eine Diskussion hier bringen?

2. Eine Quelle, bestehend aus einem Zeitschriftenaufsatz, ist rasch irgendwie erwähnt und dann womöglich falsch interpretiert. Ein anderer Forscher schreibt einen anderen Aufsatz mit anderem Tenor. Was ist dann?

3. So stellt sich die Frage, was der Hinweis auf eine Siedlung, die vor 11.000 Jahren existierte, und in der Forscher möglichenfalls noch keine Hinweise auf irgendwelche Strukturen gefunden haben, bringen soll? Letztlich werden solche Quellen immer dann herangezogen, wenn man irgendetwas in der Gegenwart dadurch ableiten und legitimieren möchte. Die Feministen meinen dann, dass in der Vorzeit ein Matriarchat die Welt beherrscht hätte. Da wird dann, ganz entsprechend moderner Gender-Ideologie, geschrieben, dass in Gräbern mit Waffen auch Frauen liegen konnten, in Gräbern mit Schmuck auch Männer. Feste Geschlechterrollen hätte es nicht gegeben. Passt gut zur aktuellen Emanzipationsdebatte. Andere schreiben, dass Altruismus die Steinzeit-Gesellschaften beherrscht hätte. Der Mensch wäre also gar nicht kriegerisch oder besitzergreifend veranlagt, sondern von Natur aus durchaus friedfertig und teilungsbereit. Make love, not war. Frieden ist machbar, Frau Nachbar. Das deckt sich natürlich wiederum bestens mit der marxistischen Theorie von einer kommunistischen Ur-Gesellschaft ohne Klassenschranken, zu der man zurückkehren müsse. Die Freunde der Masseneinwanderung können darauf verweisen, dass wir ja vom Ursprung alle irgendwie Afrikaner und Refugees gewesen wären, somit einwandernde Sozialhilfeempfänger eigentlich ja nur spät aussiedelnde Verwandte sind. Und nun ist mal wieder die Anarchie dran, die über irgendwelche Steinzeit-Theorien Legitimation erfahren sollte.
Dankenswerterweise weist Ladon darauf hin, dass eine Steinzeit-Gesellschaft mit nicht selten nomadischen Kleingruppen nicht mit einer hochkomplexen arbeitsteiligen Industriegesellschaft vergleichbar ist. Und dass es "vermutlich jeden Tag knallhart ums überleben" ging in der Steinzeit, davon kann wohl ausgegangen werden. Die durchschnittliche Lebenserwartung betrug wohl etwas über 30 Jahre. Viele, die heute die Steinzeit vielleicht romantisieren dürften, würden vermutlich in der realen Steinzeit schon gar nicht mehr leben.

4. Dass in der Steinzeit keine Staaten existierten, ist eigentlich gar nicht bestritten. Staaten, also die formale Organisation und Legitimation von Herrschaft, entstanden erst mit den höher entwickelten Zivilisationen ab etwa 4000 v. Christus. Kein Staat heißt aber nicht, dass es keine Hierarchien und keine Machtstrukturen gab. Schon in der Schimpansenherde gibt es Hierarchien. Man findet Herrschaft ebenso in Clans/Sippen, Familien, dörflichen Gemeinschaften, ohne dass diese über einen schriftlich fixierten Rechtscodex oder feste politische Institutionen verfügen. In Deutschland hat sich der Staat erst im 19. Jahrhundert vollständig durchgesetzt, indem er die gesamte Organisation des gesellschaftlichen Lebens zu ordnen begann. Zuvor existierten zumindest auf dem Land noch teils vor-staatliche Strukturen, also z.B. feudale Abhängigkeitsverhältnisse vom Gutsherren, Sippengesetze, Familien-Fehden.

5. Ist der Traum der Anarchie hierzulande eigentlich ein Relikt der 68er-Hippiezeit. Teils befeuert von der marxistischen Vorstellung eines Absterbens des Staates nach der Verwirklichung des Kommunismus. Vor allem in den 80er Jahren war das in der Punk-Szene sehr hip. Es wurden allerorten Anarchie-"A"s gezeigt. Wobei die Punks darunter vor allem verstanden haben dürften, dass sie überall ihren Müll und ihre Bierflaschen hinwerfen dürfen, ohne dass jemand sich beschweren sollte. Mülltrennung und Flaschenpfand gab es noch nicht.

6. Für manche ist der Staat an sich bis heute ein Feindbild. Dabei verwechseln sie allerdings den Staat mit den jeweils Herrschenden, die den Staat politisch leiten, manche besser, manche schlechter, manche egoistisch und korrupt. Darin besteht aber ein kleiner Unterschied. Allerdings haben die gleichen Leute noch nie etwas gegen den Staat gesagt, wenn er ihnen ALG I, Hartz IV, Pflegegeld oder die Rente auf das Konto überwiesen hat. Auch gegen vom Staat gebaute Kindergärten, Schulen, Universitäten, zu denen sie ihren Nachwuchs schicken, haben ich noch selten Einwände gehört. Auch nicht gegen Straßen, sofern nicht direkte Anwohner.

7. Wird sich der Staat in Zukunft höchstwahrscheinlich aus vielen Arealen zurückziehen. Wir kennen diese Entwicklung aus Ländern der 3. Welt, und wenn man sich die 3. Welt importiert, bekommt man diese Verhältnisse eben längerfristig auch hier. Schon heute liest man, dass sich die Polizei in einigen europäischen Gegenden nicht mehr oder allenfalls mit Verstärkung in bestimmte Wohnviertel traut, dass der Respekt gegenüber Beamten abnimmt, dass die personellen Kapazitäten der Staatsdiener am Limit angelangt wären. Auch mir wurde schon mehrfach von Polizisten angedeutet, doch auf eine Anzeige wegen Diebstahl oder Sachbeschädigung zu verzichten, da das doch ohnehin nur "ein Fall für die Statistik" sei. Der Staat dürfte in Zukunft also punktuell autoritärer agieren, aber auch über Teile der Staatsterritorien seine Kontrollfunktion verlieren. Wer glaubt, dann würde sich "Love and Peace" und "steinzeitliche Anarchie" ausbreiten, wird, so vermute ich, eines besseren belehrt werden. Geräumte Machtpositionen werden von vor-staatlichen Mächten besetzt werden, von Clans, von Mafia, von "Schlichtern". Ob dann der vereinzelte westeuropäische Individualist in seiner Single-Wohnung oder derjenige, der in einer tribalistischen Struktur sozialisiert wurde, also bei Bedarf zahlreiche Cousins per whatsapp herbeirufen kann, im Konfliktfall die Oberhand gewinnen wird, dürfte ein interessantes soziologisches Experimentierfeld hergeben. Manch einer wird sich dann vielleicht den Staat zurückwünschen. Aber der ist dann bereits irreversibel geschädigt und kommt schlicht nicht mehr.

So, jetzt habe ich meine Gedanken also doch heruntergetippt. Ich bin also selbst schuld und bin dann auch wieder aus diesem Thread raus, bevor irgendwelche der nicht seltenen Forums-Pöbeleien beginnen. smilie_24

Beitrag 22.11.2017, 05:03

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Ladon
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@ Quinar

Du hast Dich am Begriff "Anarchie" gestört. Das hätte ich wohl in Anführungszeichen setzen müssen.
Von "Anarchie" im enzyklopädischen Sinn wollte ich nicht reden. Das hat zur Verwirrung geführt.

Ansonsten verstehe ich nicht, warum das so ... hm .. "agressiv" sein muss? Natürlich sind wir alle fachfremd (Aber warum sollten wir nicht ein fachfremdes Thema besprechen???). Also bringt mal gelegentlich ein Thema ins Forum, von dem man gehört/gelesen hat und das aller Erfahrung nach hier auf eine gewisse Resonanz stoßen könnte.
Der "New Scientist" ist weder Geo Wissenschaft, noch Spiegel Wissen oder so etwas.
ICH muss diese Sekundärquelle nicht verteidigen, denn sie steht qualitativ außer Frage.

ICH muss auch die These an sich nicht verteidigen - ich habe sie interessant gefunden. Warum daraus ein Kompetenz-Geschwurbel gemacht wird, weiß ich nicht.



Ich wiederhole s also aus gutem Grund noch einmal:
Es geht NICHT um eine Staats- oder (Nicht-) Regierungsform namens "Anarchie", sondern darum, dass neuere (!) Erkenntnisse umfangreiche Siedlungstätigkeit erkennen lassen, OHNE jeden Hinweis auf "Machtstrukturen". Das ist die Aussage.
Ungewöhnlich und überraschend (und daher der Grund zur Weitergabe) ist das, weil bislang das "Standardmodell" von einer ursächlichen Verquickung ausgeht.

... und das ist einem Forum von lauter "Weniger Staat" Forderern doch eine interessante Sache!
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Beitrag 22.11.2017, 17:41

Quinar
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Die Netzseite der Ausgräber ist in diesem Faden verlinkt.

Zudem wurde mit Chacon/Mendoza auf recht aktuelle Interpreten der Spatenergebnisse hingewisen.
Nach wie vor:
Keine Oberschichtenfunde
weil
keine Oberschichtensiedlung
weil
generell KEINE Siedlung!
,sondern
ein kultisches Zentrum.

Ich könnte nun auch wild herumspekulieren und obwohl ich meiner Variante selbstredend eine gewisse Plausibilität zubillige ist es...
pure Spekulation.

Chancon/Mendozas tranegalitäre Gruppen(PLURAL!) stellen wir uns einfach mal als ein paar nach wie vor als Jäger+Sammler lebende Gruppen vor welche in relativ loser Verbindung miteinander stehen, jeweils eigene interne und notwendigerweise mit der Gruppe "ziehende" Hierachien kennen.
Diese Gruppen(oder doch zumindest einige dieser Gruppen) sind gerade drauf und dran den Vormärz der neolithischen Revolution zu gestalten.

Der Urweizen kommt ziemlich genau aus der Kante...

Wenn mit plötzlich durch lagerbares Mampf nimmer jedes vierte Jahr weite Teile des Clans ins Verwesen übergehen ändert dies auch kultische Vorstellungen.

Die Kombi "Weizenlager/kultisches Zentrum" ist auch keine Arbeitshypothese welche sonderlich neu wäre.
Ich will hier-trotz völliger diesbezüglicher Fundleere-nichteinmal ausschließen daß Teile der grundsätzlich wandernden Gruppen (Alte?) sogar am Tepe seßhaft waren.

"Latschen kannst nimmer gscheid Gnorff, pass halt aufs Korn uff"

Und ratz fatz hätten wir mit den Gnorffs am Tepe sogar ein zweites Autoritätsgruppenenelement neben den weiter in den transegalitären Jäger-und Sammlergruppen umherziehenden älteren Eliten.

Die "Wächter des Getreides am kultischen Zentrum"
Priester!

Durchaus nicht unplausibel wenn ich einfach mal annehme daß hier auf dem Tepe sich die bisherige Personalunion von weltlicher und geistlicher Macht trennt und sogar eine weitere Obrigkeitsebene ihre Kinderstube sieht.

Gut,gut..
ich bin nicht der "new scientist"...
dafür wäre meine These zumindest näher an den Spatenergebnissen.

Noch ein Kännchen....büdde.

Beitrag 22.11.2017, 19:22

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Titan
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Quinar hat geschrieben:...Ich könnte nun auch wild herumspekulieren und obwohl ich meiner Variante selbstredend eine gewisse Plausibilität zubillige ist es...pure Spekulation.
...Gut,gut..ich bin nicht der "new scientist"...
dafür wäre meine These zumindest näher an den Spatenergebnissen.
Noch ein Kännchen....büdde.
Ja,da bin Icke nahe an dieser Erläuterung.
Eine Erklärung des historisch Möglichen an der Grenze des
Überganges vom Zusammenleben in Regeln und dem Fehlen
der Gewaltenteilung durch entspr. Belege entspricht aus meiner Sicht nicht
der Entstehung des Inhaltes und der Interpretationen von
"Anarchie" (wegen des zu eng gefaßten Inhaltes) .
Vielleicht muß ein neuer Begriff "erfunden" werden...

Wie weit die Gewalt in unserer ach so tollen "Zivilisation" schon existiert--nur mal
Banken-Türme anschauen...,da ändert Demokratie als akademischer Sprachausdruck
auch nix daran,denn jede Art von Gewaltenteilung bleibt was?
GEWALT---vs. Fehlen von Gewalt... Kreis geschlossen (oder?)

Quinar,Kursprophet: Kännchen nur in Ruhe mit einem "Veredler" zum weiteren Disput genießen
smilie_24
T.
"Das Leben ist Schwingung.Verändere Deine Schwingungen--
und Du veränderst Dein Leben"
"Die kürzesten Wörter ( ja,nein ) erfordern das meiste
Nachdenken"
Pythagoras von Samos

Beitrag 23.11.2017, 22:55

gernreich
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@gullaldr:
Super, super, besonders die Absätze 6 und 7 smilie_12

Beitrag 24.11.2017, 04:41

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Ladon
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Nur für's Protokoll:
Ich habe einen interessanten Artikel in einer ausgesprochen zuverlässigen (Wissenschafts-) Zeitschrift gefunden. Nicht mehr und nicht weniger

Ich lasse mich bestimmt nicht auf dieses unverständliche Kompeztenzgerangel ein, weil zumindest ich gar keine Kompetenz in der Sache habe. Wenn das also Quatsch ist, was da drin steht, wird der Quinar schon richtig interveniert haben.
Auch wenn - Plusibilität einer Amateurthese hin oder her - sich Forschung durch stete Entwicklung auszeichnet und ich nicht unbedingt mit "8-9 Jahre altem Wissen" (nicht meine Aussage) vorsichtshalber mal nicht so "bedrängend" gewesen wäre.

Wie auch immer.

Da Herrn Q so viel daran liegt noch einmal deutlich: Ich habe keine Ahnung von der Materie.
Aber das Thema hat micht interessiert! Und kontroverse Meinungen sind der Nährboden für Entwicklung. Eine These, eine Theorie hat so lange bestand, ist so lange "wahr", bis es neue Erkenntnisse gibt. Lassen wir die Profis arbeiten und freuen uns doch an spannenden Ergebnissen.
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