Wie steht ihr zu der Iran-Krise?

Tagesgespräch zu Wirtschaftsthemen wie Geldmarkt, Börse, Währung, Finanzkrise, Inflation aus Deutschland und der Welt

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Beitrag 12.10.2012, 18:04

dneef
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Suedwester hat geschrieben:Religion ist seit hunderten (wenn nicht tausenden) Jahren teil der Politik. Leider.
Aus meiner bescheidenen Sicht - ich habe selbst für 7 Jahre im Iran gearbeitet, behaupte aber nicht unbedingt, Kenner der Verhältnisse zu sein - hat es in der Weltgeschichte noch kein System gegeben, das auf einer solchen Basis überlebt hat.
Staatsreligion und religiöser Fanatismus gegen eine hohe Zahl gut informierter, gebildeter und weltoffener junger Iraner, Beschränkungen der Bürgerrechte und der politischen Freiheiten gegen die heutigen Informationsmöglichkeiten aus Internet und Sat-Fernsehen (auch wenn zensiert bzw. verboten), grenzenlose Korruption der herrschenden Schichten gegen fast unvorstellbare Armut auf dem Lande - das ist eine sehr brisante Mischung.
Meines Erachtens kann auf einem Topf, in dem es gewaltig brodelt, der Deckel nur noch mit brachialer Gewalt gehalten werden, Parallelen zum Untergang der kommunistischen Staaten drängen sich auf.
Der Weltpolizist USA und seine Satelliten wären meiner Meinung nach gut beraten, sich diplomatisch zu verhalten und die Dinge ihren Lauf nehmen zu lassen, immerhin gibt es ja auch noch so ca. 10 Millionen Auslands-Iraner. Das Problem scheint nur, daß man in den USA mit der Diplomatie und der Geduld so einige Probleme hat.

Beitrag 27.11.2012, 22:49

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MaciejP
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Türkei tauscht iranisches Gas gegen Gold

Die Türkei hat eingeräumt, dass ein plötzlicher Anstieg seiner Goldexporte in diesem Jahr auf die Finanzierung der Erdgaslieferungen an den Iran zurückzuführen ist. Entsprechende Angaben machte der stellvertretende Regierungschef des Landes, Ali Babacan, auf Nachfragen von Abgeordneten des Haushaltsausschusses im Parlament.

http://www.wallstreetjournal.de/article ... 24366.html


PS: Ich hatte so in Erinnerung, dass es hier irgendwo einen gemischten Thread zu Nahost-Themen gab, konnte aber keinen finden. Gibt's den wirklich nicht oder stell' ich mich nur zu doof an?

Beitrag 28.11.2012, 08:04

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Ladon
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dneef hat geschrieben:...
Der Weltpolizist USA und seine Satelliten wären meiner Meinung nach gut beraten, sich diplomatisch zu verhalten und die Dinge ihren Lauf nehmen zu lassen, immerhin gibt es ja auch noch so ca. 10 Millionen Auslands-Iraner. Das Problem scheint nur, daß man in den USA mit der Diplomatie und der Geduld so einige Probleme hat.
"Weltpolizist" ist ein Euphemismus, der gelegentlich auf die USA angewendet wird, aber falsche Assoziationen wecken kann. Es geht schließlich nicht um Gerechtigkeit, sondern um die globale Hegemonie. Dazu haben die USA im 20. Jahrhundert eine Art feudalistisches Vasallensystem aufgebaut. In der Art eines mittelalterlichen Lehnsherren vergeben die USA territoriale Macht, verteilen Geschenke ... und kassieren Tribut. In den fetten Jahren (50er-70er) konnten die "großzügigen Gaben" an treue Vasallen durchaus "wertmäßig" oder in den wertmäßigen Auswirkungen, den "Tribut" übersteigen! Das geschah in Deutschland, in Japan, in Südkorea, in Saudi-Arabien und Kuweit (um mal die wichtigsten zu nennen).

Nebenbemerkung:
1. Wer glaubt, dieses System sei auf Deutschland beschränkt oder gar "für" Deutschland gemacht, liegt total daneben und es werden sich einige völlig falsche Folgerungen ergeben.
2. Tribut: (Neusprech; amerik.) Der Zwang für Vasallen mittels der inflationsexportierten Dollars amerikanische Staatsanleihen zu kaufen. Abgesichert wird das technisch durch die Rohstoffweltmärkte, die in Dollar abgewickelt werden.
3. Das Verhältnis "Lehnsherr/Vasall" ist durchaus nicht von Feindschaft geprägt und hat etwas mit ethischem Codex zu tun (siehe Mittelalter). Der geniale Trick der USA bestand darin, ein solches Verhältnis, das eigentlich auf eher moralischen Begriffen fußt (Ehre, Treue usw.), quasi monetarisiert zu haben: Schließlich "schuldet" der Vasall dem Lehnsherr ja etwas (Sicherheit z.B.; evt. sogar seine komplette eigene Machtstellung!) ... und genau DAS (diese "moralische" Schuld) konnten die USA v.a. durch Bretton-Woods, aber erstaunlicherweise auch noch danach, im wahrsten Sinn des Wortes zu Geld machen.


Warum diese ausführliche Abschweifung?
Weil man verstehen muss, wie die Verknüpfungen sind, um das Verhalten der USA in der Iran-Frage zu erklären (oder wenigstens den Versuch zu unternehmen). Auch ein mächtiger Feudalherrscher ist natürlich nicht frei in seinen Entscheidungen und vor allem stets in der Gefahr seine Machtposition zu verlieren. Es ist - relativ - einfach eine zentrale Machtposition zu erringen (von Cäsar über Karl den Großen, Napoleon bis Hitler gelang dies sogar immer wieder innerhalb ganz kurzer Zeit), aber es ist ungeheuer schwer, diese Position zu halten (die gleichen Beispiele ...). Und irgendwann kommt einer (mit einer neuen Militär/Geld/Politik-Doktrin) und schubst einen vom Thron. Das Britische Empire wurde im 1. Weltkrieg monetär ausgehölt und im 2. endgültig zerschmettert (lassen wir mal offen, inwieweit die USA diese Entwicklung bewusst voran getrieben haben) und die USA wollen eine solche Entwicklung bei sich selbst um jeden Preis verhindern.
Die Mittelmacht Iran spielt ihrerseits die Religionskarte: Der Versuch Solidarität und Hilfen über Staats- und Bündnisgrenzen hinweg zu organisieren. Nicht dumm. Ob ein "System" zwangsläufig an seinen inneren Paradoxien scheitert, möchte ich so nicht unbedingt unterschreiben. China z.B. (und machen wir Langnasen uns nichts vor) ist ein Reich das buchstäblich seit Jahrtausenden existiert - sogar konstitutionell erst in "allerjüngster" Zeit mal verändert worden ist, und China kennt enorme innere Gegensätze. Früher wie heute war und ist der Unterschied zwischen urbanen und ländlichen Gebieten unvorstellbar groß!
A Propos China: Natürlich spielen in der "Iran-Frage" auch noch die regionalen Interessen der beiden Großreiche Rußland und China eine Rolle. Beide haben ihre Vasallen nach dem 2. WK an die USA verloren (durch unterschiedliche Praktiken) und sehen eine weitere Ausbreitung von Uncle Sam natürlich nicht gern. Die Chinesen hatten wohl den raffinierten Plan, sich ihren wirtschaftliche/monetäre Machtzuwachs direkt vom "Westen" bezahlen zu lassen ... das hat sie in die aus ihrer Sicht blöde Situation gebracht, dass sie nun in diesem Bereich mit den USA in einem Boot sitzen (crasht der Dollar verliert China praktisch seinen Reichtum).
Andererseits ist für beide (Rußland und China) ein Machtwachstum des Iran nicht akzeptabel: Wie erwähnt, haben die "Mullahs" ihre eigenen Ambitionen, denen man nicht in die Hände spielen möchte.

Was hiermit - höchst vereinfacht - gesagt sein soll: Im ganz großen Machtpoker sind (wie immer schon) Politik, Kapital und Geldsystem eng verwoben. Politik ist Außenpolitik; und Außenpolitik ist Krieg. Das ist die zynische Wahrheit. Die USA hatten es eine Zeit lang geschafft ihre Kriege über die "Tribute" der Vasallen zu finanzieren (das konnten die anderen nicht), indem das internationale Geldsystem (mit den USA dominierten Institutionen wie IWF, Weltbank usw., die immer auf "Bezahlung der Schulden" drängen ... allerdings NICHT bei den USA, sondern vor allem aus der Dritten Welt, wo die Schulden hauptsächlich durch Kredite an fragwürdige Machthabe entstanden sind, die nach dem Sturz der Machthaber an die "befreiten" Staaten übergingen und nicht mehr, wie früher, beim Wechsel der Machthaber gestrichen wurden). Deswegen ist die Iran-Frage auch eine Dollar-Frage! Wenn jetzt ein "Verbündeter" die Dollarhegemonie auf den Rohstoffmärkten unterläuft, wird das in Washington bestimmt nicht gern gesehen. Die eleganteste und praktikabelste Lösung ist also eine Destabilisierung des Iran. Regionale Konflikte, internationaler Druck, wirtschaftliche Repression. Das sehen wir momenten. Wie's ausgeht, ist aber noch nicht abzusehen - auch weil dieses "Spiel" immer durch unkalkulierbare und unerwartete Einzelaktionen auch kleinerer Mitspieler entscheidend beeinflusst werden kann.
Höflichkeit ist keine Schwäche - Empathie ist keine Dummheit - Moral ist nicht moralinsauer

Beitrag 28.11.2012, 17:40

rudl88
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http://www.youtube.com/watch?v=d1jtgSHw ... re=related

http://www.youtube.com/watch?v=oOGM4jP5 ... ure=relmfu

smilie_08

Rockefeller und co werden immer so weiter machen wenn wir nicht bald aufwachen....

Beitrag 30.11.2012, 02:07

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MaciejP
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US-Politiker wollen türkische-iranische “Gold für Gas”-Deals stoppen

US-Gesetzgeber aus beiden politischen Lagern haben gemeinsam einen Gesetzentwurf vorgelegt, der noch schärfere Wirtschaftssanktionen gegen den Iran vorsieht.

http://www.goldreporter.de/us-politiker ... old/28360/

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Kein Gold mehr für Gas: Türkei lassen geplante Iran-Sanktionen der USA kalt

Die Vorbereitungen der USA, den Goldhandel mit Iran zu verbieten, lassen den türkischen Wirtschaftsminister Çağlayan völlig unbeeindruckt. Das Edelmetall ist in letzter Zeit zum Zahlungsmittel für Erdgas avanciert, das die Türkei von der islamischen Republik bezieht. Doch was die USA und Europa an Sanktionen beschließen, habe für ihn keinerlei Verbindlichkeit.

http://www.deutsch-tuerkische-nachricht ... -usa-kalt/

Beitrag 30.11.2012, 07:50

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Ladon
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Ist dieser Konflikt um Gold-Gas etwa der Grund dafür, warum das NATO-Mitglied Türkei jetzt Hilfe bei den Verbündeten einfordert (Gegen wen eigentlich? Gegen ein schwankendes Regime, das genug mit den eigenen Leuten zu tun hat; wo es mal zu einem Grenzscharmützel kommt? Das steht ja schließlich keine syrische Invasion bevor.)?

Nach dem Motto: Wenn man gegen die USA, den großen "Lehnsherren" opponiert, dann entweder, indem man sich auf die Seite eines ähnlich großen Gegners stellt (das kommt für die Türkei wohl nicht in Frage) ... oder aber indem man einen Konflikt mit einem äußeren - und "gemeinsamen" - Feind schürt. Jetzt sind die USA in einer Zwickmühle: EInen "Verbündeten" (Vasallen) in einer schwierigen Situation fallen zu lassen ist der Todesstoß für ein Feudalsystem. Wenn die Garantie auf Sicherheit vom Feudalherren nicht eingelöst wird, beschädigt das seinen Status bis ins Innerste! Auf der anderen Seite hat die Destabilisierung des Iran für die Amis natürlich sehr hohe Priorität und man wird nicht vergessen, dass ihr "Mann am Bosporus" hier derart rein funkt.

Für das Gesamtbild - und was man in Europa gern vergisst - ist das historische Selbstverständnis der Türkei dabei wichtig! Die Türkei als Nachfolger des Osmanischen Reiches, sieht sich eigentlich als natürlich Mittelmacht in der Region. Ihre "Ansprüche" erstrecken sich mindestens bis Arabien und auch an der "Achse der Turk-Völker" nach Osten. Letzten Endes ist sie das Überbleibsel des Oströmischen Imperiums. Und mit ihrer behutsamen Re-Islamisierung wollen sich die Türken auch als natürlicher Kristallisationspunkt in dessen ehemaligem Gebiet profilieren.
Zuletzt geändert von Ladon am 30.11.2012, 15:50, insgesamt 1-mal geändert.
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Beitrag 30.11.2012, 14:48

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thEMa
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Ladon hat geschrieben:Letzten Endes ist sie das Überbleibsel des Weströmischen Imperiums.
smilie_08 Meinst Du "des oströmischen Reiches"? Aber mal egal ob Ost oder West. Gibt es da wirklich eine Kontinuität, eine Art roten Faden? Wäre interessant, mehr darüber zu erfahren, auch im Zusammenhang mit der ganzen Nahost-Thematik.
Ceterum censeo anatocismum esse delendum

Der Zins, sie zu knechten, sie alle zu finden,
ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden.

Beitrag 30.11.2012, 16:15

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Ladon
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:oops:

Ja klar - ich habs schon geändert. (Hab die Karte verkehrt rum gehalten ;-) )

Und ja, da wird schon eine gewisse Kontinuität gesehen. Der große Bruch ist natürlich der Fall von Konstantinopel 1430 (hoffentlich stimmt das jetzt). Da gilt letzten Endes das selbe wie im Westen. Nachfolge-"Staaten" sahen sich mit für uns schwer nachvollziehbarem Selbstverständnis in der Nachfolge, bzw. in der Fortführung (eben wie das 800 mit Karls Kaiserkrönung offiziell rekonstitierte (Wets-)Römische Reich). Aber zugegebenermaßen hat das was mit der eher mystischen Vier-Reiche-Lehre zu tun (Nebukadnezars Traum im Buch Daniel). Grob gesagt ist es so, dass nach dem vierten Weltreich die Welt untergeht. Diese waren (nach damaligen Verständis) Babylon, die Perser, Alexanders Reich und ... Rom. Da die Welt noch da war, konnte Rom wohl kaum untergangen sein. Auch die spätere "translatio imperii" Heinrichs steht in dieser Tradition: Der Übergang der Herrschergewalt des Römischen Reiches auf den mittelalterlichen Kaiser, bzw. der Versuch der Ausgrenzung des "französischen Anspruchs" auf den Kaisertitel.

Aber da da eher philosophisch, wenn nicht religiöser Natur ist, sollte man es vielleicht mal stehen einfach so lassen.

Eine ganz andere Sache ist aber das "Osmanische Reich". Man muss sich mal klar machen, welche Ausdehnung das noch Anfang des 20. Jahrhunderts hatte - auch wenn von "Zentralgewalt" in weiten Teilen kaum noch die Rede sein konnte. Und da gibt es ein eindeutiges "Ja": Die Türkei ist dessen "Nachfolger" und Istanbul seine Hauptstadt. Und so, wie es z.B. in Deutschland Ansprüche auf verlorene Gebiete gibt, so gibt es dies auch in der Türkei. Für den wahren "Osmanen" sind die meisten nordafrikanischen und arabischen Staaten nur mehrheitlich von England kreierte Gebilde ohne jede Tradition.
Das ist vielleicht etwas überspitzt formuliert, aber im Kern doch sehr wohl wahr. Und vieles spricht dafür, dass die Türkei in neuerer Zeit in dieser Hinsicht ein gewisses Selbstbewusstsein entwickelt und sich zumindest als "natürliches" Zentrum der ganzen Region (bis hin nach Albanien) begreift.
Die Re-Islamisierung des weltlichen Staates von Ata Türk MUSS (meiner bescheidenen Meinung nach) sogar unbedingt in diesem Zusammenhang gesehen werden.
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